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Eden

Eden

Titel: Eden
Autoren: Stanislaw Lem
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vermutlich hatte sich der Ingenieur beim Ziehen an den Griffen des Eingangs einen Muskel gezerrt.
    Sie waren schlechter Stimmung. Keiner sprach, nicht einmal der Doktor. An die restlichen Vorräte in der Schleuse kamen sie nicht heran, denn auf dem Schrank, in dem die Raumanzüge hingen, lag ein gewaltiger Erdhaufen. Der Physiker und der Chemiker gingen in die Vorratskammer und kehrten mit Konservendosen zurück. Es war neun, als sie das Ausschachten des Tunnels in Angriff nahmen.
    Die Arbeit ging im Schneckentempo voran. In der ovalen Öffnung konnten sie sich nicht frei bewegen. Die Männer vorn lockerten mit den Hacken die festen Erdklumpen, und die hinter ihnen wurden in den Gang gedrängt. Nach einigem Überlegen beschlossen sie, die Erde in den Steuerraum zu schütten. Er lag am nächsten und enthielt nichts, was in nächster Zeit benötigt wurde. Vier Stunden später war der Steuerraum kniehoch mit Erdreich bedeckt. Der Tunnel war aber erst zwei Meter tief. Der Mergel war zäh. Die Bohrstangen und Hacken blieben darin stecken. Die eisernen Griffe verbogen sich unter den Händen der heftig zupackenden Männer. Die beste Arbeit leistete noch die stählerne Hacke des Koordinators.
    Der Ingenieur sorgte sich, dass die Decke einstürzen könnte, und bemühte sich vor allem darum, sie ordentlich abzustützen. Gegen Abend, als sie lehmbeschmiert am Tisch Platz nahmen, war der Tunnel, der von der Klappe fast siebzig Grad steil nach oben führte, kaum fünfeinhalb Meter vorgetrieben. Der Ingenieur blickte noch einmal in den Brunnen, durch den man in die tiefer gelegenen Räume dringen konnte, wo sich, dreißig Meter vom Haupteingang entfernt, im Panzer die Verladeluke befand, aber er sah nur den schwarzen Wasserspiegel - höher als am Vortag. Offensichtlich hatte ein Behälter ein Leck, und sein Inhalt sickerte langsam heraus. Das Wasser war radioaktiv verseucht. Das hatte er sofort mit einem kleinen Geigerzähler festgestellt. Er schloss den Brunnen und kehrte zu seinen Freunden zurück, ohne ihnen etwas von seiner Entdeckung zu sagen. »Wenn es gut geht, kommen wir morgen heraus, sonst erst in zwei Tagen.« Der Kybernetiker trank die dritte Tasse Kaffee aus der Thermosflasche. Sie tranken alle sehr viel. »Woher weißt du das?« fragte der Ingenieur verwundert. »Ich fühle es.« »Er hat Intuition, die seine Automaten nicht haben.« Der Doktor lachte. Je mehr der Tag sich neigte, um so besser wurde seine Laune. Als ihn die anderenvorn beim Ausschachten ablösten, lief er durch die Räume der Rakete und bereicherte die Belegschaft um zwei magnetoelektrische Taschenlampen, eine Haarschneidemaschine, Vitaminschokolade und einen ganzen Berg Handtücher. Alle waren lehmbeschmiert, ihre Kombinationen voller Flecke. Sie rasierten sich nicht, weil es keinen Strom gab, und die Haar-Schneidemaschine, die der Doktor mitbrachte, verschmähten sie. Er benutzte sie übrigens selber nicht.
    Auch der folgende Tag verging mit dem Graben des Tunnels. Im Steuerraum lag die Erde so hoch, dass es immer schwerer fiel, den Sand durch die Tür hineinzuschütten. Nun war die Bibliothek an der Reihe. Der Doktor hegte ihretwegen gewisse Zweifel, aber der Chemiker, mit dem er die aus Blech gefertigten Eimer trug, schüttete die Erde, ohne zu zögern, auf die Bücher. Der Tunnel öffnete sich völlig unerwartet. Der Boden war zwar mittlerweile trockener geworden und weniger fest, aber diese Beobachtung des Physikers hatten die anderen nicht geteilt. Der Mergel, den sie in die Rakete schleppten, mutete noch genauso an wie früher. Gerade hatten der Ingenieur und der Koordinator die neue Schicht vorn übernommen und mit dem Werkzeug, das von den Händen ihrer Vorgänger noch warm war, den aus der klobigen Wand herausragenden Klumpen die ersten Schläge versetzt, da verschwand plötzlich der Brocken, und ein sanfter Lufthauch drang durch die entstandene Öffnung. Sie spürten den lauen Zug, denn der Druck draußen war etwas höher als im Tunnel und in der Rakete. Die Hacke und die stählerne Stange begannen fieberhaft zu wühlen. Keiner trug mehr die Erde fort. Die Männer, die vorn nicht helfen konnten, da zuwenig Platz war, standen hinten bereit. Nach den letzten Schlägen wollte der Ingenieur hinausklettern, aber der Koordinator hielt ihn zurück. Zuerst sollte der Ausgang erweitert werden. Der Koordinator ließ auch noch den letzten Berg Erde in die Rakete tragen, damit der Schacht frei war. Noch wenige Minuten, und die sechs Männer konnten
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