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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition)
Autoren: Gabrielle Zevin
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gar nicht so schrecklich«, fügte er nach einer Pause hinzu. »Ich glaube, er hat das Herz am rechten Fleck.«
    »Das Herz?«, höhnte ich. »Dieser Mann hat kein Herz.«
    »Die Wahrheit lautet, Anya, dass er meiner Meinung nach sehr gut für uns sein könnte. Er spricht oft darüber, dass eine sichere Stadt Gesetze haben muss, die sinnvoll sind.«
    »Ist mir egal.«
    »Sollte es aber nicht sein«, tadelte Simon mich. »Es tut mir leid, dass du deinen Freund bei der ganzen Sache verloren hast, aber hier steht etwas Größeres auf dem Spiel. Charles Delacroix ist mehr als nur Win Delacroix’ Vater, und falls er sich gegen die Konkurrenz durchsetzt, wird die Stelle als Staatsanwalt für ihn nicht der Endpunkt sein. Er könnte Bürgermeister werden, ja Gouverneur oder sogar Präsident.«
    »Wie schön.«
    »Irgendwann würde ich vielleicht selbst gerne in die Politik gehen«, sagte Simon Green.
    Ich verdrehte die Augen. »Und hältst du es wirklich für eine gute Grundlage, Rechtsbeistand der berühmtesten Tochter des organisierten Verbrechens zu sein?«
    »Ja«, sagte Simon Green. »Das glaube ich.«
    »Das musst du mir irgendwann mal erklären.«
    Sein Gelächter ging in einem schrillen metallischen Kreischen unter. Mein Kopf schlug gegen den Sitz vor mir. Man hörte Schreie, der Bus bremste abrupt. Simon Green griff nach meinem Arm. »Anya, ist alles in Ordnung?«
    Mein Nacken tat ein wenig weh, aber abgesehen davon, ging es mir gut. »Was war das?«
    »Der Bus muss gegen irgendwas gefahren sein«, antwortete Simon benommen. Ich sah ihn an. An der rechten Schläfe hatte er eine Wunde, seine Brille hatte die Haut aufgerissen. »O Gott, du blutest ja!«
    »Oje«, sagte Simon Green schwach.
    Ich befahl ihm, den Kopf in den Nacken zu legen. Dann zog ich meine Jacke aus, um sie auf die Wunde zu drücken und die Blutung zu stillen.
    »Niemand verlässt den Bus!«, rief der Fahrer. »Es hat einen Unfall gegeben.«
    Das lag auf der Hand. Ich schaute aus dem Fenster. Mitten auf der Madison Avenue lag ein Mädchen, das ungefähr so alt war wie ich. Ihre Gliedmaßen waren unnatürlich verdreht. Am schlimmsten stand es um ihren Kopf, der fast seitlich neben dem Körper lag. Nur ein kleines Stück Haut verhinderte noch, dass er sich vollends löste.
    »Simon«, sagte ich. »Ich glaube, das überlebt sie nicht.«
    Er beugte sich über mich, um einen Blick nach draußen zu werfen. »Oje«, flüsterte er wieder, dann wurde er ohnmächtig.
     
    Während Simon Green im Krankenhaus untersucht wurde, wartete ich bei ihm. Die Ärzte versicherten mir, dass es ihm, abgesehen vom Blutverlust, nicht allzu schlechtging. Sie nähten die Wunde an seiner Schläfe. Da er ohnmächtig geworden war, musste er über Nacht zur Beobachtung in der Klinik bleiben.
    Ich hatte Mr. Kipling benachrichtigt, der mir versicherte, er sei auf dem Weg. Während Simon Green und ich auf die Ankunft des Anwalts warteten, sahen wir uns die neusten Schlagzeilen auf Simons Tablet an. Der Busunfall war die große Meldung des Tages. »Heute wurden in Midtown mehrere Personen verletzt, als ein Stadtbus, der eine Werbung für Charles Delacroix trug, eine Fußgängerin anfuhr.«
    »Ooh«, sagte Simon Green. »Schlecht fürs Image. Das Team von Delacroix ist bestimmt stinksauer.«
    Die Nachrichten brachten ein Interview mit einem Augenzeugen. »Dies Mädchen – die war vielleicht sechzehn, siebzehn – ging gerade mitten über die Straße, und dann
wumm
! liegt sie mir nichts, dir nichts auf der Erde, und ihr Kopf ist fast ab. Das arme Ding! In so einem Fall hat man wirklich Mitleid mit den Eltern.«
    Der Reporter fuhr fort: »Die Jugendliche wurde sofort ins Mount Sinai Hospital gebracht, zusammen mit den anderen verletzten Fahrgästen. Sie verstarb auf dem Weg dorthin. Ein erstaunlicher Zufall will es, dass sich Anya Balanchine, die Tochter des berüchtigten Syndikatschefs Leonyd Balanchine, ebenfalls unter den Fahrgästen des Busses befand. Sie soll schwer verletzt sein.«
    »Ist das ein Blödsinn!«, schrie ich den Bildschirm an. »Ich bin nicht verletzt, es geht mir gut!«
    Simon Green zuckte mit den Schultern.
    »Die haben kein Recht, meinen Namen zu veröffentlichen«, brummte ich.
    »Im Frühjahr wurde Anya Balanchine verhaftet, weil sie auf ihren eigenen Cousin geschossen hatte, der wiederum versucht hatte, ihren damaligen Freund William Delacroix zu töten, Sohn des amtierenden Staatsanwalts Charles Delacroix.«
    »Er heißt Win!«, rief ich.
    »Obwohl Charles
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