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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition)
Autoren: Gabrielle Zevin
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zu nennen, aber ich war inzwischen geübter darin, Jacks’ Stimme zu erkennen, als ich früher gewesen war.
    »Telefonieren ist teuer, Jacks. Du solltest deinen wöchentlichen Anruf nicht auf jemanden verschwenden, der gar nichts von dir hören will.«
    Er ignorierte mich. »Es wird erzählt, dass Balanchine Chocolate im Sommer keine Schokolade mehr ausliefern wird. Es ist Fats zu teuer. Er meint, der Verkauf sollte auf die anderen Jahreszeiten begrenzt werden. Die Dealer sind kurz davor, ihn aufzuknüpfen.«
    Ich erzählte ihm, dass mein Vater oft denselben Vorschlag gemacht hatte und dass es, Jahreszeit hin oder her, mich nichts anginge.
    »Das kann doch nicht dein Ernst sein! Fats fährt den Laden vor die Wand, und du meinst, es geht dich nichts an? Ich sag dir mal was: Mit Fats hast du den Falschen unterstützt. Das Einzige, worum sich der Typ kümmert, ist sein Mondschein …«
    »Ich bin raus aus der Sache, Jacks. Was soll ich denn dazu sagen?«
    »Du weißt, dass ich niemand anders anrufen kann, oder? Da Mickey nicht zu erreichen und Yuri tot ist, wird auch niemand meinen Anruf entgegennehmen. Und ich hätte gerne noch eine Arbeit, die ich übernehmen kann, wenn ich hier wieder rauskomme.«
    »Vielleicht denkst du mal über eine andere Branche nach?«
    »Fällt es dir denn leicht, was anderes zu machen, Annie? Für mich wird es noch tausendmal schwerer sein, weißt du.«
    »Du bist nicht mein Problem«, sagte ich und legte auf.
    Ich ging zurück zu Natty, die gerade ihren Regenmantel zusammenfaltete. Sie wollte wissen, wer am Telefon gewesen sei. »Niemand«, sagte ich.
    »Niemand?«, wiederholte sie.
    »Mit Jacks. Er macht sich Sorgen, dass Fats …« Ich sprach nicht weiter. Wenn Fats Balanchine Chocolate vor die Wand fuhr, war das nicht unbedingt mein Problem, doch es konnte auf jeden Fall eine Möglichkeit für mich eröffnen. »Entschuldige mich, Natty, ich muss mal kurz telefonieren.«
    Ich ging wieder in die Küche. Wenn ich das wirklich durchziehen wollte, bräuchte ich einen Anwalt. Ich überlegte, ob ich Mr. Kipling anrufen sollte, doch seit Simon Greens Rückkehr hatten wir uns nicht gerade gut verstanden. Ich zog auch in Erwägung, mich bei Simon zu melden, aber ich vertraute ihm nicht mehr. Das größere Problem mit Mr. Kipling und Simon Green war, dass beide Männer ihr gesamtes Berufsleben damit verbracht hatten, Menschen auf der falschen Seite des Gesetzes zu verteidigen, und was ich momentan brauchte, war jemand, der auf der Seite des Guten stand.
    Ich überlegte, ob ich Charles Delacroix anrufen sollte. Dagegen sprach, dass er mich zweimal in eine Erziehungsanstalt gesteckt hatte und dass Win vollkommen dagegen wäre.
    Am sinnvollsten war es sicherlich, mich an Mr. Kipling zu wenden. Auch wenn wir eine schwere Zeit hinter uns hatten, war er ein guter Mann und immer auf meiner Seite gewesen. Zumindest würde er mir einen Tipp geben können, was für einen Anwalt ich gebrauchen könnte.
    Ich griff zum Hörer. Gerade wollte ich Mr. Kiplings Nummer wählen, als ich merkte, dass ich stattdessen die der Familie Delacroix eingab. Win meldete sich. »Hallo?«, sagte er.
    Ich antwortete nicht.
    »Hallo?«, rief er erneut. »Wer ist da?«
    In dem Moment hätte ich die Idee verwerfen können. Ich hätte Win einfach fragen können, ob er herkommen wolle. Zumindest hätte ich ihm erzählen können, was mir gerade durch den Kopf ging. Doch ich tat nichts von alldem.
    Es mag niederträchtig erscheinen, doch ich beschloss, meine Stimme zu verstellen. Ich ließ sie besonders tief und rau klingen, typisch für jemanden aus New York. »Ich möchte Charles Delacroix sprechen«, schnurrte ich. Da ich kein Stimmenimitator war, rechnete ich damit, dass Win in Lachen ausbrechen und sagen würde:
Annie, was machst du da?
    » DAD !«, hörte ich ihn rufen. » TELEFON !«
    » ICH GEHE IM BÜRO DRAN !«, rief Charles Delacroix zurück.
    Kurz darauf hob er ab, und Win legte auf. »Ja?«
    »Hier ist Anya Balanchine«, meldete ich mich.
    »Na, das ist ja eine Überraschung«, erwiderte er.
    »Ich mache es«, sagte ich. »Ich werde eine Ausgabestelle für Arzneikakao eröffnen.«
    »Schön für dich, Anya. Das ist unglaublich mutig«, erwiderte er. »Wieso hast du deine Meinung geändert?«
    »Ein Fenster hat sich geöffnet – eine Möglichkeit, die zu gut war, um sie nicht zu nutzen«, sagte ich. »Ich denke, Sie sollten mein Firmenanwalt werden.«
    Charles Delacroix räusperte sich. »Warum sollte ich das
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