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Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut

Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut

Titel: Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
Autoren: Declan Hughes
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unbehauenen ovalen Grabstein aus Granit bestellt. Wenn er fertig war, würde man das Kreuz entfernen und den Stein an seine Stelle setzen.
    Es war ein klarer, kühler Abend, einer von der Sorte, die einem sagen, dass der Sommer vorbei ist. Ich trat meine Zigarette aus, ging fort vom Grab meiner Eltern und bog in den Weg ein, der vom Friedhof ans Meer hinunterführte. Ein frischer Wind trieb die Gischt auf das dunkelblaue Wasser, und die Schreie der Möwen klangen wie Totenklagen.
    Ich ging die steinige Küste entlang in Richtung Bayview und dachte an all die Toten: an Barbara Dawson und Kenneth Courtney, an Linda und Peter Dawson, an Seosamh Mac-Liam, John Dawson und Jack Dagg. Und an meine Mutter und meinen Vater, Daphne und Eamonn Loy. Es war wie die wöchentliche Litanei in der Messe, wenn der Priester die Gemeinde auffordert, für die Seelen Einzelner und dann für »alle Verstorbenen« zu beten.
    Für alle Verstorbenen.
    Dagg war an Leukämie gestorben. Er hatte gesagt, es stimmte etwas nicht mit seinem Blut. Vielleicht waren sie in gewisser Weise alle daran gestorben. Vielleicht hatten alle, die aus Fagan’s Villas stammten, das falsche Blut, wie Barbara, die kleine Bastardtochter vom alten George Halligan. Entweder hatten sie schon verdorbenes Blut, oder sie waren nicht, wer sie zu sein vorgaben oder zu sein glaubten.
    Das galt aber nicht für alle Verstorbenen.
    Ich dachte daran, wie wir im Urlaub in die Berge gefahren waren, meine Frau, meine Tochter und ich, und daran, wie mein Töchterchen – Lily hieß sie – mit der Hand eine Glasscheibe durchschlagen und sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte, wie ich ihr auf dem Weg ins Krankenhaus den Arm oberhalb der Verletzung mit einem Streifen Stoff von meinem Hemd abgebunden hatte. Auf der Intensivstation hatte man uns gesagt, wie selten ihre Blutgruppe sei, dass sie keine Blutkonserven genau dieser Blutgruppe hätten. Ich sagte, sie sollten prüfen, ob mein Blut in Frage kam, und meine Frau sagte sofort nein, das würde nichts bringen, das sei Zeitverschwendung. Ich versuchte, sie vom Gegenteil zu überzeugen, bis wir uns schließlich anbrüllten, uns gegenseitig Angst machten und allen um uns herum ebenfalls.
    »Lass sie mein Blut testen«, sagte ich. »Einen Versuch ist es doch wert.«
    »Das kann gar nicht funktionieren«, sagte sie.
    »Warum nicht?«, fragte ich.
    »Weil sie Blutgruppe 0 hat, und du hast AB.«
    Die Schwester warf meiner Frau einen raschen Blick zu und ging aus dem Zimmer.
    »Ich weiß nicht, was das heißen soll. Was soll das heißen?«, fragte ich.
    »Das heißt, dass du nicht ihr Vater bist«, sagte meine Frau. »Du bist nicht … ihr leiblicher Vater, Ed.«
    Es war nicht wichtig, nicht in dem Moment. Es spielten noch so viele andere komplizierte Faktoren in das Blut meiner Kleinen hinein, dass ich auch ihr Vater hätte sein können und mein Blut trotzdem nicht gepasst hätte. Aber ihr leiblicher Vater war nicht aufzufinden, und sie fanden auch sonst keine passende Blutkonserve. Sie versuchten eine Transfusion mit einer 0-Blutgruppe, die ihrer relativ nahe kam. Aber es war das falsche Blut. Sie hatte schon so viel davon verloren, und ihr kleines Herz hielt der Belastung nicht mehr stand. Bevor wir noch recht verstanden, was passierte, war sie tot. Ich weiß noch, wie meine Frau und ich ihre Asche bei Santa Monica ins Meer streuten und wie wir einander in unserer hilflosen, verzweifelten Trauer nicht halten, einander nicht einmal in die Augen sehen konnten. Seitdem hatte nichts, was ich tat, mehr eine Bedeutung gehabt. Und das war so geblieben – bis jetzt.
    * **
    Ich war ihr Vater. Blut sagt nicht alles.
    * **
    Man kann seiner Vergangenheit nicht entkommen. Ich hatte zwanzig Jahre in einem Land verbracht, das sich genau diesem Gedanken verschrieben hat. Aber das funktioniert nicht. Blut kann so falsch sein, wie es will, es ist trotzdem das eigene. Die Vergangenheit wartet immer irgendwo, und je länger man sich von ihr abwendet, desto weniger ist man darauf vorbereitet. Ich hatte mich lange genug abgewandt.
    Ich stieg die Klippe hinauf, zwischen Ginster und anderem Gestrüpp hindurch bis an den Rand des alten Pinienwaldes. Vor mir lag Dublin und wartete. Ich sah die Lichter der Stadt in der Ferne, die in der Dunkelheit ineinander flossen. Sie waren wie die raschen Atemzüge der Lebenden zwischen den Seelen all der Toten.
    Etwas näher sah ich den großen, sicheren Hafen von Seafield, errichtet aus den Steinen des alten Steinbruchs in
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