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Dylan & Gray

Dylan & Gray

Titel: Dylan & Gray
Autoren: Katie Kacvinsky
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»Wieso nicht Harvard? Willst du meinen IQ dissen?«
    Wir setzen uns wieder in Bewegung, und ich frage, ob er sauer ist. Gray schüttelt den Kopf und meint, es sei nur verdammt frustrierend, ausgerechnet in der Mill Avenue über die Vergangenheit zu stolpern. Ich nicke, auch wenn es ihn vor allem gewurmt haben dürfte, dabei von mir beobachtet zu werden: einem Mädchen mit lästigem Detektivblick, das er kaum kennt.
    Er schaut in meine Richtung und grinst noch einmal. Vermutlich ist das seine Art, sich zu bedanken. Wir schweigen beide, bis die Straße endet und in den Stadtpark am Tempe Town Lake mündet. Der See liegt vor uns wie ein schimmernder Edelstein und wird von den geschwungenen Bögen einer Brücke gekrönt. Geckos huschen um meine Füße, während ich den Rasenhügel zum Wasser hinabschlendere. Gray folgt mir. Wann immer ich in seine Richtung schaue, wirft er mir abwartende Blicke zu.
    »Was ist?«, frage ich.
    »Willst du nicht wissen, worum es vorhin eigentlich ging?«
    Ich schaue ihn an. Sein Mund ist zusammengepresst, als habe man ihn mit einem Dutzend Schrauben verschlossen. »Nein«, sage ich ruhig. »Du siehst nicht aus, als würdest du darauf brennen, es mir zu erzählen.« Gray stößt erleichtert den Atem aus. Er schüttelt den Kopf und ich verfolge das Thema nicht weiter. Stattdessen halte ich die Kamera ans Auge und richte sie auf das glatte Wasser, das den Himmel widerspiegelt. Der Blendenverschluss klickt, als ich auf den Auslöser drücke.
    »Ich sollte dich nach Hause fahren«, sagt Gray.
    Ich nicke, aber vorher will ich noch eine bleibende Erinnerung an diesen Tag haben. Eine eingefrorene Momentaufnahme von dem, was mir am besten gefallen hat. Ich drehe mich um, nehme Gray ins Visier und knipse sein Profil, bevor er sich abwenden kann.
    »Hey«, sagt er und versucht die Kamera mit der Hand abzudecken. Doch während er sich noch über meine Paparazzo-Methoden beschwert, muss er grinsen, und seine Augen hellen sich auf. In nur fünf Minuten habe ich ihn drei Mal zum Lächeln gebracht. Dafür habe ich mindestens eine Medaille verdient. Manchmal sind die kleinen Siege mehr wert als jedes Großereignis, das die Welt bewegt.
    Gray fährt mich nach Hause und ich führe ihn zu dem ausladenden Anwesen im Nobelort Scottsdale, wo ich im Moment wohne.
    »Machst du Witze?«, fragt er, als wir eine Sicherheitsschranke passieren und an Villen vorbeikommen, auf deren Wohnfläche man ganze Hotels unterbringen könnte. Ich lasse ihn in eine Auffahrt einbiegen, die vor einer dreitürigen Garage endet, und er fragt mich, ob ich kürzlich meinen Millionärsonkel beerbt habe.
    »Das ist also nicht, was du erwartet hast?«
    Er starrt auf meine ausgeleierte, ausgewaschene Jeans. »Du läufst herum, als müsstest du im Stadtpark zelten.« Anscheinend fürchtet er, ich könnte beleidigt sein, denn er fügt schnell hinzu: »Ich meine nur, du wirkst nicht gerade … na ja … materialistisch.«
    »Bin ich auch nicht, aber meine Tante hat eine sehr lohnende Scheidung hinter sich. Schönheitschirurgen sind in Phoenix anscheinend gefragt.« Gray verbeißt sich ein Grinsen und wir betrachten zusammen das Eigenheim meiner Tante, das aussieht wie drei Villen, die aneinandergeklebt wurden. Der perfekte Wohnsitz, falls man eine Familie von ungefähr zwanzig Personen unterbringen will. Gray bemerkt den schäbigen knallorangen Volvo, der auf der Stellfläche neben uns parkt. Die Stoßstange ist mit Rost überzogen, der Lack hat Risse und blättert an verschiedenen Stellen ab.
    »Sieht aus, als könnte ihr Wagen ein ordentliches Lifting gebrauchen«, sagt er.
    »Der Flitzer gehört mir. Er heißt Gürkchen.«
    Mit gekrauster Stirn betrachtet er das orange Auto. »Ja, sehr passend.« Dann zeigt er auf das Nummernschild, das aus Wisconsin stammt. »Du bist wirklich weit weg von zu Hause.«
    Ich nicke. »Genau das ist der Sinn der Sache.« Obwohl ich inzwischen die Wagentür geöffnet habe, kann ich mich nicht entschließen auszusteigen. Mein einer Fuß steht schon auf dem Asphalt, der andere lungert noch in Grays Auto herum. »Können wir das morgen wiederholen?«, frage ich lässig, als seien wir bereits Freunde. Für mich fühlt es sich auch so an, aber Grays entgeisterter Gesichtsausdruck sagt mir, dass er diese Ansicht nicht teilt.
    » Was wiederholen?«
    »Die Stadt zusammen entdecken.« Ich schlage vor, die Mill Avenue diesmal auszulassen. »Auch wenn es eine interessante Erfahrung war. Aber die Leute dort nehmen sich so
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