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Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Titel: Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Autoren: Moira Young
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Holzfässer übereinandergestapelt. Wir rennen zum Rand vom Steg und gucken runter. Dann gucken wir uns an. Das müssen fünfzehn Meter bis runter zum Wasser sein.
    »Zum Glück kannst du schwimmen«, sagt Jack.
    »Wo ist Maev?«, frag ich.
    Wir drehen uns um. Sie ist hinter uns. Sie steht an der Tür und hält sich mit der rechten Hand am Türrahmen fest. Die andere Hand drückt sie fest auf ihre rechte Seite. Das Blut strömt ungehindert aus ihr raus. Ihr Leben sickert in ihr Hemd. Tränkt ihre Hose. Tropft auf den Boden. Unsere Blicke treffen sich, und in ihren Augen seh ich ihr Ende.
    »Maev!« Ich renn zu ihr.
    Sie schnallt den Waffengürtel auf. »Gib mir dein Kleid«, sagt sie. »Mehr haben sie nicht gesehen. Ein Mädchen in einem roten Kleid. Hilf mir. Beweg dich!«
    »Nein«, sag ich, aber ich reiß mir schon das Kleid übern Kopf und zieh’s dann ihr über.
    »Schnall mir den Gürtel fest«, sagt sie. »Mach ihn ganz fest. Fester.« Ich gehorch, und sie schreit vor Schmerzen. »Okay«, stößt sie hervor, »okay.«
    »Ich lenk sie ab«, sagt Jack. »Viel Glück, Maev.« Dann ist er weg. Ich kann ihn brüllen hören: »Hier lang!« Er bläst in seine Pfeife.
    »Hilf mir da rüber«, sagt sie. Ich helf ihr beim Gehen, zieh sie halb hinter die Fässer. Sie guckt nach ihren beiden Bolzenschießern. »So, jetzt hau ab von hier.« Sie nimmt eins von Slims Sprengbällchen vom Gürtel. »So weit weg wie du kannst«, sagt sie, »so schnell du kannst.«
    »Nein, ich lass dich nicht allein hier. Ich lass dich nicht allein, Maev.«
    »Schon gut«, sagt sie, »wirklich. Ich muss verrückt sein, aber ich bin eigentlich glücklich. Zum ersten Mal seit langem tu ich was, was richtig ist.« Sie richtet sich an den Fässern auf. Genau wie damals in Hopetown, als ich sie zum ersten Mal gesehen hab. Die kupferrote Mähne hängt ihr den Rücken runter. Der Kopf ist hoch erhoben. Maev, die Kriegerkönigin.
    »Bitte, Maev, nicht.« Mit Tränen in den Augen fall ich ihr um den Hals.
    »Ich hab keine Ahnung, was das alles bedeutet, Saba. Vielleicht findest du’s ja raus.«
    Ich küss sie auf den Mund. »Lass dich nicht von denen schnappen«, flüster ich.
    Sie lächelt. »Ich bin eine Free Hawk«, sagt sie. »Jetzt geh.«
    Ich dreh mich um und renn bis zum Ende vom Steg. Ich spring in die Luft. Und als ich hoch überm See durch die Dunkelheit flieg, fängt Maev an zu schießen.

    C reed zieht mich aus dem eiskalten Wasser vom Glasswater Tarn. Dann kauer ich in eine Decke gehüllt vorn im Boot und zitter unbeherrscht. Creed hat auch ein Bad genommen, aber er ist nicht so lang drin gewesen wie ich, und er ist zäh wie Leder.
    Er paddelt zum oberen Ende vom See, hält sich dicht am schattigen Ufer. Wir reden nicht. Die anderen beiden Kanus – mit Ash, Lugh und Emmi und Molly und Tommo – fahren ein Stück vor uns. Wir haben Emmi wieder. Nein. Nicht wir. Sie. Die anderen haben sie zurückgeholt. Ich hab nichts damit zu tun gehabt.
    Zu acht sind wir bei Bram losgezogen. Jetzt sind wir noch zu sechst.
    Keiner folgt uns. Das Schießen geht länger weiter, als ich gedacht hätte. Als eigentlich hätte sein können. Dann ein lauterer Knall. Slims Sprengbällchen.
    Der Himmel ist eine ganze Weile erleuchtet, glüht in einem grellen Orange, das sich überall um uns rum auf der glatten, eben noch schwarzen Wasseroberfläche spiegelt. Ich guck zurück. Der Landesteg ist weg. Da ist nur noch ein klaffendes Loch im Gebäude. Flammen schießen in die Nacht. DeMalo wird hören, dass ein Mädchen in einem roten Kleid seine Männer eine Weile aufgehalten und dann sich selbst und die Männer in die Luft gejagt hat.
    Nero kommt runtergeflattert. Er landet vor mir auf dem Bug.
    Ich fahr über einen See in den Bergen. In einem Rindenkanu. Ich paddel. Nero hockt auf dem Bug, ein zerrupfter Schatten. Er guckt nach vorn.
    Mein Lotse. Mein Wächter. Meine Krähe.
    Es ist pechschwarze Nacht. Es ist bitterkalt. Über mir stechen die Sterne vom Himmel. Wie Eissplitter.
    Das Wasser teilt sich, wo mein Kanu durchgleitet. Ich tauch das Paddel ein und zieh durch. Tauch es ein. Zieh es durch.
    Ich guck nicht über den Bootsrand. Ich wage keinen einzigen Blick. Wenn ich hingucken würde, wenn ich’s wagen würde, könnte ich’s sehen. Auch wenn es dunkel ist. Ich würde runter, runter, runter gucken bis zum Grund. Bis auf den uralten Grund des Sees. Wo Dunkles kauert. Wo Altes wartet. Wo es kauert und wartet … auf mich.
    Nicht lang nach dem ersten Knall
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