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Durst: Thriller (German Edition)

Durst: Thriller (German Edition)

Titel: Durst: Thriller (German Edition)
Autoren: Alberto Riva
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standesamtlich geheiratet. Trotz hartnäckigster Bemühungen hatten sie allerdings keine Kinder bekommen.
    Nelson wurde schnell klar, dass viele Dörfer nicht einmal eine provisorische medizinische Praxis besaßen. Deshalb verließ er die Stadtgrenzen oft und fuhr die lange staubige Straße am Ufer des Flusses entlang. Die Siedlung Sobradinho, sein Ziel, war für jene errichtet worden, die zwischen 1972 und 1979 den gleichnamigen Staudamm gebaut hatten, den größten am Fluss. In Sobradinho gab es zwar so etwas wie ein Krankenhaus, aber es wurden ausschließlich die Mitarbeiter des Wasserkraftwerks behandelt. Alle anderen konnten sehen, wo sie blieben.
    Die Stadt bestand aus niedrigen Häusern, einem Gitter staubiger Straßen und zwei asphaltierten Trassen von ein paar Kilometern Länge. Auf dieser Höhe war der zuvor aufgestaute Fluss nur noch ein trauriges Rinnsal. Man konnte auf den schlammigen Grund sehen, der von einer dünnen, grünlichen Algenschicht bedeckt war. Die Holzkanus der Fischer lagen im Schlick. Zusammen mit dem Wasser waren auch die Fische verschwunden, und die Fischer waren gezwungen, sich als Tagelöhner zu verdingen. Die Dörfer waren geschrumpft oder ihre Bewohner weiter nach Norden, in die Nähe der großen Fazendas, umgesiedelt, wo der Wasserstand noch höher war.
    Gegen Ende der Neunzigerjahre sah sich Nelson plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert, die Dörfer am Flussufer mitversorgen zu müssen, vor allem in der Gegend um Cabobró und Barra Quebrada herum. Zu den alten Problemen wie der Kropfbildung, die von der Mangelernährung herrührte, waren neue Krankheitsbilder gekommen, die sich der schlechten Wasserqualität verdankten. Zwei schwere Choleraepidemien brachen aus und forderten Dutzende von Toten– vor allem kleine Kinder. An manchen Stellen erreichte der Fluss einen gefährlichen Tiefststand, der Sauerstoffgehalt nahm ab, und die Fische starben. Trotzdem wurde das Wasser noch für die sanitären Einrichtungen und zum Kochen benutzt. Für ihre Felder legten die Bauern artesische Brunnen an, deren Wasser jedoch vom Dünger und den Unkrautvernichtungsmitteln der großen Agrarbetriebe belastet war.
    Nelson bekämpfte die Folgen und kümmerte sich nicht weiter um die Ursachen. Er verabreichte Antibiotika, behandelte Hautgeschwulste und erteilte – oft vergeblich – Ratschläge, um den Menschen das Leben mit einem chronischen Husten zu erleichtern. Daneben musste er erfahren, wie mühselig es war, sich mit den abgelegenen Gemeinden auseinanderzusetzen und träge Amtspersonen dazu zu bewegen, einen Lastwagen mit Trinkwasser loszuschicken, um die Zisternen, die inmitten der Wildnis wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, auffüllen zu lassen. Die Zisternen waren seit Monaten leer, da offenbar das Wasserverteilungsprogramm nicht umgesetzt wurde. Bei sengender Sonne und siebenunddreißig Grad im Schatten stand Nelson dann neben seinem auberginefarbenen Passat – das schweißnasse Hemd klebte ihm am Rücken – und verfolgte die kostenlose Wasserausgabe an die Frauen, Kinder und Alten, die mit ihren Eimern Schlange standen.
    Ohne es zu merken, wurde Nelson immer mehr zum Vermittler zwischen den abgelegenen Gemeinden und dem SUS , dem brasilianischen Gesundheitssystem, das zwar eigentlich in staatlichen Händen liegen sollte, tatsächlich aber von den Interessen der Kommunen gesteuert wurde. Wenn die Mittel– wie in den meisten Fällen– nicht am Ziel ankamen, dann nicht, weil keine Gelder bewilligt worden wären, sondern weil sie unterwegs irgendwo versickerten. Sobradinho war der eklatanteste Fall. Dank der Erträge aus der Stromerzeugung hätte es der Stadt in diesem trostlosen Hinterland von Bahia blendend gehen müssen. Tatsächlich aber legte die Kommunalverwaltung immer nur rote Zahlen vor. Unter den ausufernden Diskussionen mit Politikern und lokalen Beamten, weil irgendwelche Projekte einfach nicht in Gang kommen wollten, litt schließlich sogar Nelsons eigentliche Arbeit. Er wurde zu einer Art Kontrolleur, ohne über die nötigen Kontrollinstrumente zu verfügen. Sein Name fiel nicht mehr nur in den Dörfern, sondern auch in Juazeiro und sogar in Salvador, allerdings in vielen Fällen nicht gerade mit Begeisterungsstürmen verbunden.
    Im Jahr 2002 wurde er aufgefordert, als Abgeordneter für eine Partei zu kandidieren, von der er noch nie etwas gehört hatte. Nachdem er mit Sandra herzlich darüber gelacht hatte, lehnte er das Angebot ab und beschloss, die Dinge fortan etwas
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