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Dunkles

Titel: Dunkles
Autoren: Tommie Goerz
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machen! Also hatte P. A. erst mal umzupacken. Unten eine Lage Bücher, dann obendrauf einen Lampenschirm. Unten eine Lage Platten, dann obendrauf ein Kissen. So ging das fort. Jetzt war er bei der dritten Kiste Bücher und hatte immer noch keinen Krimi entdeckt. Was Peter Jaczek so alles las und besaß, meine Güte. Fachbücher, Fußballbücher, Lexika, Schriftsteller, die P. A. nicht einmal kannte, Bildbände von griechischen Inseln, Philosophie, Gedichte – aber nicht ein einziger Krimi dabei!
    »Haste mich nicht gehört?«, rief P. A. noch mal in Richtung Küche. »Wo hast'n du deine Krimis?«
    »Hab keine«, kam es lapidar zurück.
    P. A. unterbrach seine Arbeit, wischte sich über die Stirn. »Keine Krimis?«
    »Nee.«
    »Du willst mich doch verarschen, oder?«
    »Nee. Keine Krimis. Aus Überzeugung.« Jaczek war in der Küchentür aufgetaucht. P. A. spürte, dass jetzt etwas Grundsätzliches kam.
    »Keine Lust auf den Käse, den die da über uns schreiben, über unsere Arbeit und so. Da kann man ja oft den größten Quatsch lesen ... stimmt's?« P. A. wollte ihm eine Vorlage geben. Etwas Unverfängliches, damit es nicht zu grundsätzlich wurde.
    »Nee, weißt du ...«, begann Peter Jaczek.
    »Gib mir erst mal ein Bier!«
    Peter Abend ging rüber in die Küche, setzte sich an den Tisch. Jaczek brachte das Bier. Hofmann hell, Neustadt/Aisch, herrlich kalt. Ein angenehmes Getränk.
    »Also?« P. A. war bereit.
    Jaczek überlegte, suchte einen Anfang. Dann griff er aufs Fensterbrett, nahm von dort ein Buch.
    »Ehe ich lang herumerzähle – ich les dir was vor. Das sagt genau, was ich meine.« In dem Buch steckten etliche Zettel. Jaczek blätterte, las hinein, blätterte weiter, immer von Zettel zu Zettel, suchte eine ganz bestimmte Stelle. Dann hatte er offensichtlich die Passage gefunden. Jaczek las vor. Dazu setzte er ein fast feierliches Gesicht auf. Ernst.
    Hmm, dachte sich P. A., als er Jaczek dabei beobachtete. An dem findest du immer wieder neue Seiten. Irgendwie lernst du den nie richtig kennen.
    »Ja, hier vielleicht. Also: Wie ist denn der Zusammenhang? Hier weicht man aus – dort sucht man Thrill und Schrecken. Was lesen denn die Leute, was zeigt uns das TV? Und was zeigt es und nichts anderes? Dinge mit Spannung nur. Geschichten, die ziehen und treiben, die Tempo haben und Hitzigkeit, Hetze. Geschichten von Schrecken und Verbrechen. Kann es denn sein, dass man immer erst töten muss in den Geschichten? Dass man morden muss, zuweilen auch sehr bestialisch, damit jemand einem zuhört und auch dranbleibt, wie man heute sagt? Brauchen wir denn den Thrill?, den Mord?, den Detektiv?, die Polizei?, die Atemlosigkeit? Was suchen wir denn beim Lesen, Vorlesen, Hören? Zerstreuung? Nur Unterhaltung? Nur Kurzweil vielleicht? Will man sich denn nur wegdenken lassen aus seiner Welt? Wegtragen lassen? Sich packen lassen und entfuhren, hinauskatapultieren? Sich fesseln lassen von Ängsten und Nöten, von Spannung und von Grauen? Will man nur außer sich sein, außer seiner Welt, nicht bei sich selbst? Ist es nicht so, dass der Mensch, der Leser, der Zuhörer in seinem Tageslauf in seinem Sein gerade dies, die Spannung und den Thrill, Verbrechen und Angriffauf die Person, Verletzung, Folter, Mord tunlichst zu vermeiden versucht? Dass er kein Freund ist von Gewalt, den Frieden liebt und Sicherheit? Dass er nach Polizei ruft und nach Hilfe, nach Einschreiten und Abstellung, sobald ihm etwas droht? Dass er doch Angst hat vor dem Bösen, er es nicht sucht, es meidet wie die Pest? ... und trotzdem das Verbrechen sucht im Buch, in den Geschichten? Sucht man im Lesen nur die Spitzen, die Extreme? Weil alles andere so tagtäglich ist? Und jetzt zu uns und dem, was ich euch sagen will: Suchen wir denn Geschichten, um uns zu zerstreuen? Uns abzulenken? Zur Kurzweil nur? Wir, so verstand ich das ...«
    Jaczek setzte kurz ab, erklärte: »Also da sitzen Leute zusammen und erzählen sich Geschichten, in dem Buch, und einer spricht das ...«, und las dann weiter vor:
    »Wir, so verstand ich das, suchen Entspannung, nicht die Spannung. Wir suchen Ruhe, nicht die Hektik. Wir wollten innehalten und nicht Raserei und Tempo. War das nicht unser Ziel? Wollten wir hier nicht ganz nah am Boden bleiben, auch am Leben, auf dem Teppich? Vagabundieren? Flanieren? Zögern? Spannung aber katapultiert uns hinweg, hinaus. Entspannung lässt uns hier. Nicht Kurzweil ist das Ziel, besser die Weile wird uns lang. Wir suchen Innehalten. Und
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