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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien
Autoren: Rudygard Kipling
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Jedermann soll die Ursache meiner Krankheit erfahren und selber beurteilen, ob es jemals auf dieser Erde einen vom Weibe geborenen Menschen gegeben hat, der so gequält wurde wie ich.
    Wenn ich hier vielleicht Worte gebrauche, wie sie sonst wohl nur ein zum Tode verurteilter Verbrecher vor seiner Hinrichtung spricht, und meine Geschichte in gräßlichen Farben schildere - und so unglaublich sie auch klingen mag, Beachtung verdient sie jedenfalls, - so möge man mir verzeihen. Daß man mir nicht glauben wird, davon bin ich überzeugt. Hätte doch ich selbst noch vor zwei Monaten einen Menschen für verrückt oder betrunken gehalten, der kühn genug gewesen wäre, mir etwas Ähnliches zu erzählen. - Vor zwei Monaten war ich noch der glücklichste Mann in ganz Indien; heute gibt es keinen Unglücklicheren, von Peshawur angefangen bis hinunter zum Meeresstrand. - Mein Arzt und ich allein wissen das. Seine Erklärung ist, mein Gehirn, meine Augen und meine Verdauung seien angegriffen, und daher meine sich beständig wiederholenden »Sinnestäuschungen«. Ja, ja, Sinnestäuschungen! Ich schelte ihn einen Narren; trotzdem wartet er mir immer mit dem gleichen geduldigen Lächeln auf, mit denselben milden berufsmäßigen Manieren und seinem sorgfältig gekämmten roten Bart, bis er mich schließlich so weit hat, daß ich wirklich glaube, ich sei ein undankbarer, bösartiger Patient. Aber man urteile selbst!
    Vor drei Jahren, auf der Rückkehr von einem langen Urlaub, hatte ich das Glück - das Unglück -, von Gravesend bis Bombay mit Agnes Keith-Wessington, der Gattin eines Offiziers aus der Umgebung von Bombay, auf demselben Dampfer zu fahren. Es geht niemand etwas an, zu welcher Kategorie von Frauen man sie hätte zählen können, es genügt, festzustellen: bevor noch unsere Reise zu Ende ging, waren wir beide bis zum Wahnsinn ineinander verliebt. Gott ist mein Zeuge, daß ich das nicht aus Eitelkeit sage! In Liebesangelegenheiten ist immer ein Teil der Gebende und der andere der Empfangende. Vom ersten Tage unseres unglückseligen Verhältnisses an wußte ich, daß Agnes' Leidenschaft stärker und, wenn ich mich so ausdrücken darf, reinerer Empfindung war als die meinige, und daß sie völlig unter diesem Banne stand. Ob sich Agnes derselben Erkenntnis bewußt war, weiß ich nicht. Später wurde sie uns beiden bitter klar.
    Im Frühjahr in Bombay angekommen, ging jedes von uns seiner Wege; wir sahen einander drei oder vier Monate nicht wieder, bis mich mein Urlaub und sie ihre Liebe nach Simla führte. Dort verbrachten wir die Saison zusammen - dort brannte auch das Strohfeuer meiner Leidenschaft, noch ehe das Jahr zu Ende ging, nieder bis zum letzten Aschenrest Ich verhehlte es ihr nicht. - Ich will mich nicht besser machen, als ich bin! Mrs. Wessington hatte um meinetwillen bereits vieles geopfert und war bereit, alles aufzugeben. Im August 1882 sagte ich ihr offen und brüsk, daß mich ihre Nähe krank mache, daß ich ihrer Gesellschaft müde sei, nicht einmal mehr den Klang ihrer Stimme vertrüge. Neunundneunzig unter hundert Frauen wären meiner längst überdrüssig geworden, mehr noch als ich ihrer; fünfundsiebzig hätten sich sofort an mir durch offensichtliches Kokettieren mit anderen Männern gerächt. Mrs. Wessington war die hundertste. Weder meine nicht mißzuverstehende Abneigung noch auch die verletzenden Roheiten, mit denen ich unsere Begegnungen ausschmückte, machten auf sie irgendwelchen Eindruck. »Jack, mein Liebling«, war ihr ewiger Kuckucksruf, »es ist bestimmt nur ein Mißverständnis - ein häßliches Mißverständnis; wir werden eines Tages wieder die besten Freunde sein. Bitte, vergib mir, lieber Jack!«
    Die ganze Schuld lag auf meiner Seite, und ich wußte es. Dies Bewußtsein verwandelte aber nur mein anfängliches Mitleid mit ihr in stumpfes Erdulden; dann wurde blinder Haß daraus, und gelegentlich regte sich in mir jener gewisse dunkle Trieb, der uns zwingt, in wilder Erregung eine Spinne zu zertreten, die tödlich verletzt zu unsern Füßen kriecht. Und mit solchem Haß in meinem Herzen verlebte ich die Saison 1882 bis zum Schluß.
    Das nächste Jahr trafen wir uns abermals in Simla - sie mit ihrem monotonen Gesicht und den schüchternen Versöhnungsversuchen, - ich, jede Fiber meines Körpers erfüllt mit Widerwillen. Ich konnte nicht vermeiden, zuweilen allein mit ihr zusammenzutreffen, und bei solchen Gelegenheiten waren ihre Worte genau die gleichen. Immer derselbe unvernünftige
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