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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn
Autoren: Wulf Dorn
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Endlosigkeit ausgedehnt. Er sah Janas Hand, die sich gegen ihre rechte Schläfe presste, sah den Bleistift, den sie sich
gleichzeitig ins linke Ohr gesteckt hielt, und ihr anhaltendes Lächeln, das wie eine Art Abschied war.
    Als sein Schrei gellte, hieb sie sich mit der Hand gegen die Schläfe und schlug den Kopf an die Wand. Augenblicklich verschwand der Bleistift in ihrem Ohr wie beim Trick eines Bühnenmagiers. Dabei war ein hässliches Krachen zu hören.
    Janas Mund klappte auf, als wolle sie ein kehliges »Ah« ausstoßen, gleichzeitig verdrehte sie die Augen, so dass nur noch das Weiße zu sehen war. Dann kippte sie mit dem Stuhl rücklings zu Boden.
    Jan stürzte sich auf den zuckenden Körper. Ihre Beine strampelten wie wild, als wollte sie nach allem treten, das ihr zu nahe kam. Sie warf den Kopf hin und her, während ein dünner Blutstrahl an dem zersplitterten Ende des Bleistifts vorbeischoss, das keinen Fingerbreit aus ihrem Ohr ragte. Ihr Mund klappte auf und zu, und Jan hörte gutturale Laute, die Worte hätten sein können.
    Er packte sie bei den Schultern und rüttelte den sterbenden Leib.
    »Wo ist Carla? Sag mir, wo sie ist!«
    Doch Janas Röcheln waren keine Worte, nur noch letzte Reflexe. Als er hinter sich Marenburg, Stark und seinen Kollegen ins Zimmer stürmen hörte, war bereits alles vorbei.

81
    Die Krähen, diese gottverdammten Krähen vor dem Fenster! Ja, es waren Richter, die ihr Urteil über ihn sprachen.
    Schuldig.

    Schuldig, den Teufel unterschätzt zu haben.
    Am liebsten wäre Jan zum Fenster am Ende des Ganges gelaufen und hätte sie verscheucht, doch ihm fehlte die Kraft. Selbst die Wolldecke um seine Schultern schien Tonnen zu wiegen.
    »Ich möchte nach Hause, Rudi.«
    Marenburg reichte ihm einen Plastikbecher, den er aus dem Automaten geholt hatte. »Hier, trink erst mal. Dann sehen wir weiter.«
    Jan schüttelte den Kopf. Wenn er den Becher nehmen würde, benötigte er beide Hände. Doch damit hielt er weiterhin den Zettel. Er würde und konnte ihn nicht weglegen, auch wenn sich Janas letzte Worte bereits für alle Zeit in seinen Verstand eingebrannt hatten. Dies war ihr Vermächtnis und seine Strafe, sie nicht geliebt zu haben.
    »Dr. Forstner, glauben Sie mir, noch ist es nicht zu spät. Wir werden Frau Weller finden.«
    Stark hatte ihm noch immer die Hand auf die Schulter gelegt. Auch er rang um Selbstbeherrschung, und Jan wusste nicht, wen er in diesem Moment mehr zu trösten versuchte – Jan oder sich selbst. Doch als Jan den Kopf hob, konnte der Hauptkommissar ihm nicht in die Augen sehen. Das war ihm Antwort genug.
    »Nein«, hörte er sich murmeln. »Nein, Sie werden sie nicht finden. Denn das ist der letzte Teil des Plans, verstehen Sie? Niemand wird Carla je wieder finden.«
    Er hob den Zettel und drehte ihn so, dass Stark Janas Nachricht lesen konnte.
     
    JE LÄNGER DU LEIDEST, DESTO LÄNGER WIRST DU AN MICH DENKEN

EIN LETZTER BRIEF
    Vier Wochen später erhielt Edith Badtke einen Brief vom Reisebüro Ockermann World Travels, der an eine Frau Jana Harder mit Zustellanweisung an das Fahlenberger Pfarramt adressiert war. Den Brief bekam die Sekretärin zu sich nach Hause geschickt, wo sie sich in ihrem Gästezimmer ein provisorisches Büro eingerichtet hatte, bis ein neues Gebäude für die Pfarrei gefunden war. Verwundert öffnete sie den Umschlag und las das Schreiben.
    Sehr geehrte Frau Harder,
     
    der Erfolg eines Unternehmens beruht auf der Zufriedenheit seiner Kunden. Deshalb interessiert uns Ihre Meinung. Hat unser Reiseangebot Ihren Erwartungen entsprochen? Haben Sie Wünsche oder Kritik, die Sie uns mitteilen möchten? Dann verwenden Sie nach Ihrer Rückkehr bitte den beiliegenden Fragebogen.
     
    Ich freue mich auf Ihre Antwort
und verbleibe mit besten Grüßen
     
    Ihr Herbert Ockermann
    Im Anhang des Schreibens befanden sich neben dem genannten Fragebogen auch zwei Faltprospekte mit Angeboten für Individualreisen nach Asien und Australien sowie eine Einladung zu einer Multimediapräsentation über die Schönheit der kanadischen Wildnis.

    Edith Badtke runzelte die Stirn und las nochmals die Adresse. »Frau Harder?«, murmelte sie, dann schüttelte sie ärgerlich den Kopf. »So ein Blödsinn. Die werden mit ihrer Werbung immer dreister, dabei können sie nicht einmal meinen Namen richtig recherchieren.«
    Sie warf den Brief in den Papierkorb und widmete sich wieder ihrem Tagesgeschäft. Keine halbe Stunde später hatte sie den Brief auch schon
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