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Dunkler Schnee (German Edition)

Dunkler Schnee (German Edition)

Titel: Dunkler Schnee (German Edition)
Autoren: Barbara Klein
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Vogel, kein Hund sind zu sehen. Marisa lässt den Dodge langsam die einzige Straße entlang rollen; der Schnee ist nicht geräumt, es gibt ein sattes Geräusch, als die Räder die weiße Schicht festfahren. In der Mitte des Dorfes stehen die Häuser dichter, aber immer noch ist niemand zu sehen. Es geht links eine kleine Anhöhe hinauf, die in den Parkplatz des Sou Wester endet. Ein Fahrzeug kommt Marisa entgegen, sie erschreckt geradezu, hat sich schon mit der Einsamkeit abgefunden. Sie versucht, die Passagiere zu erkennen, was nicht gelingt. Der fremde Wagen entfernt sich, Marisa entspannt sich wieder. Es ist halb fünf. Der Leuchtturm ist schemenhaft auf den Felsen zu erkennen. Sie wählt einen Parkplatz an der hinteren Seite, steigt aus, nimmt die Tasche mit dem Schmuck an sich und geht entschlossen, sich gegen den Wind stemmend, zum erleuchteten Restaurant hinüber. Auf dem Parkplatz sieht sie zwei weitere PKW. Einer davon müsste David und Pam gehören. Ihr Herzklopfen verstärkt sich wieder, als sie den Souvenirladen betritt, der dem Lokal vorgelagert ist. Niemand zu sehen, nicht einmal ein Verkäufer. Im Restaurant sieht Marisa gleich links am Fenster David sitzen. Er zwinkert ihr ganz sacht zu und blickt wieder aus dem Fenster. Von hinten kommt Pam aus Richtung der Toiletten, sagt laut: „Entschuldigung“, in dem Augenblick, in dem sie sich an Marisa vorbeidrückt, und leise: „Viel Glück!“, und setzt sich zu ihrem Mann. Sie ordern Kaffee und Marisa geht weiter in den Raum hinein, setzt sich an einen Tisch am Fenster und sieht sich um. Weiter hinten sitzt ein Fremder, der ihr keine Beachtung schenkt und auf einem anderen Tisch liegen eine offene Zeitung und eine Mütze. Vermutlich ist jemand zur Toilette gegangen. Irgendwo hier oder draußen wartet Georg, denkt Marisa und tippt mit einer Fingerspitze auf die Tischplatte. Der Kellner kommt und fragt nach ihren Wünschen. Sie würde am liebsten nur sitzen und nicht reden, nicht essen, nicht trinken, aber sie bestellt eine Tasse Tee und lächelt dem Mann gequält zu. Der verschwindet wieder, wenige Sekunden später sieht sie ihn hinter dem Tresen mit einem Telefon am Ohr. Er fängt ihren Blick auf, dreht sich jedoch weg und telefoniert so leise, dass nicht ein Wort zu verstehen ist. Marisa vermutet, dass er derjenige ist, den Todd eingeweiht hat. Was für ein Mummenschanz!, geht es ihr durch den Kopf und sie muss achtgeben, dass sie nicht deutlich den Kopf schüttelt oder gar aufschreit.
    Nach zwanzig Minuten steht sie auf, bezahlt an der Kasse, die sich am Ausgang des Restaurants befindet, fängt noch einmal den wissenden Blick des Kellners auf und entfernt sich aus der Wärme. Draußen weht der Wind scharf, es setzt Schneefall ein. Marisa geht vorsichtig auf den kaum zu erkennenden Betonplatten, die normalerweise einen gesicherten Weg zum Leuchtturm bilden. Nun kann sie nur raten, wo sie am besten die Füße hinsetzt und sackt mehrmals neben den Platten im Schnee ein. Der Scheinwerfer des Turms leuchtet in schwachem Grün und Marisa fragt sich, wie dieses bisschen Licht reichen soll, den Seeleuten die Küste anzuzeigen. Himmel, Meer und Land haben sich zu einer undurchdringlichen Masse vereinigt, das Wasser tost nicht, es grollt und brummt, es scheint sich auf die nächste Sturmflut zu freuen.
    Als Marisa am Turm ankommt, sind ihre Hände bereits klamm. Zitternd legt sie die Tasche ab und holt ein in eine Dokumentenfolie eingeschobenes Blatt daraus hervor. Mit klammen Fingern ergreift sie eine Rolle Pannenband und eine Schere und schneidet mehrere Stücke Band ab. Damit befestigt sie die Folie an der Wand des Leuchtturms. Es geht nur langsam voran, weil die Kälte ihr in alle Gliedmaßen kriecht und das Klebeband zunächst nicht hält. Zum Schluss klebt sie einen Streifen Pannenband vom Griff der Tasche bis zur Folie, um zu verhindern, dass der Brief in der Folie übersehen wird. Sie sieht sich um, außer den erleuchteten Fenstern des Sou Wester ist kein Licht, kein Leben zu sehen.
    Zufrieden blickt sie noch einmal auf das Papier. „Drohen kann ich auch, du Arsch!“, sagt sie und liest zum letzten Mal, was sie aufgeschrieben hat:

    Glückwunsch! Du bist auf Sendung! Genau hinter dir am Gebäude befindet sich eine nagelneue Webcam, die dich im Visier hat. Es fehlt nur ein Tastendruck, und dann kann nicht nur ich dich online sehen, sondern auch der Steuerbeamte in Deutschland, der dich am Wickel hat, und – was dich vielleicht viel mehr interessiert
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