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Dunkler Schnee (German Edition)

Dunkler Schnee (German Edition)

Titel: Dunkler Schnee (German Edition)
Autoren: Barbara Klein
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Sie?“ Herr Meerbusch hatte noch immer nichts gesagt. Er zog seine Jacke aus und zeigte seinen rechten Arm. „Tennisarm“, sagte er kurz.
    „Erzählen Sie bitte ein bisschen mehr – seit wann haben Sie Beschwerden, wobei sind Sie aufgetreten, welchen Sport üben Sie aus?“ Sie nickte ihm auffordernd zu.
    „Tennisarm, das sagte ich doch bereits.“
    „Sie spielen also Tennis?“
    „Was glauben Sie denn?“ Er schien genervt. Er wischte sich mit der linken Hand über sein Kinn. Dabei entstand ein reibendes Geräusch, als die Hand über seine Bartstoppeln fuhr. Ein tiefes Grübchen spaltete sein Kinn, das silbrig und dunkel schimmerte.
    „Sie würden staunen, womit man sich alles einen Tennisarm zuziehen kann“, antwortete Marisa, „es gibt drei verschiedene Arten, die unterschiedliche Behandlungen erfordern. Ich muss testen, was bei Ihnen infrage kommt.“ Sie forderte ihn auf, den Arm anzuheben, und machte einen Belastungstest bis zum Einsetzen der Schmerzen; das war für sie effektiver, wenn der Patient nicht den Mund aufbekam. Volker Meerbusch hielt die Dehnung erstaunlich lange aus.
    „Ich denke, das kriegen wir wieder hin. Sie haben fürs Erste sechs Behandlungen verschrieben bekommen, wahrscheinlich brauchen Sie danach noch mal sechs. Bitte legen Sie sich hin – den Kopf hierhin – ich fange mit der Behandlung vorsichtig an, bitte sagen Sie mir, wenn Sie Schmerzen verspüren. Ich steigere allmählich den Druck. Angenehm wird es nicht für Sie.“
    „Das sagte mein Arzt auch, aber bevor der auf die Idee kommt, Cortisonspritzen zu setzen, versuchen wir es auf diese Tour.“
    Oh, dachte Marisa, ein ganzer, langer Satz, sieh an!
    Sie betastete erneut seinen Ellenbogen und suchte die Stelle, an der sie ansetzen musste.
    Tennisarmbehandlungen mochte sie nicht besonders. Der Patient lag dabei für gewöhnlich auf dem Rücken, sie saß neben der Liege. Es war nicht möglich, einer Konversation mit dem Patienten zu entgehen. So musste sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren und auch noch Small Talk betreiben. Bei Rücken- und Schulterpatienten war es nicht selten, dass der Kranke die Massage mit geschlossenen Augen genoss. Er blickte sowieso entweder nach unten durch das in die Liege eingelassene Gesichtsloch oder musste den Kopf zur von der Masseurin abgewandten Seite drehen. Wenn beide keine Lust auf ein Gespräch hatten, wurde es nicht peinlich. Das war bei Behandlungen dieser Art oder Gymnastik anders. Immerzu sah man sich an und musste einfach reden.
    „Wissen Sie auch, was Sie tun?“, fragte Volker skeptisch.
    Marisa musste grinste. „Es wirkt vielleicht ein wenig unbeholfen auf Sie, aber glauben Sie mir, ich weiß, was ich tue.“ Sie drückte ihren Daumen an die den Schmerz auslösende Stelle und entlockte ihrem Patienten einen Schmerzenslaut.
    „Sehen Sie“, sagte sie, „ich weiß, wo Ihnen der Schuh drückt.“
    „Ja, ja.“
    Marisa versuchte gewohnheitsmäßig, mehr über den Mann zu erfahren. Es war am Anfang das Einfachste, über die Ursachen der Erkrankung zu sprechen, aber ihr neuer Patient zeigte sich weiterhin recht mundfaul.
    Gegen Ende der Sitzung entzog er ihr plötzlich den Arm, setzte sich auf und sah sie geradeheraus an. „Genug für heute. Danke.“ Er griff nach seiner Jacke und zog sie über. Marisa stand auf, versuchte ihre Überraschung zu verheimlichen. „Haben Sie die weiteren Termine schon gemacht?“
    „Habe ich. Übermorgen bin ich wieder da. Wir sehen uns.“ Er strich ihr über den Arm und verschwand aus der Kabine.
    Was war denn das?, fragte sich Marisa. Sie fühlte noch den leisen Strich seiner Hand auf ihrem Arm und räumte dann kopfschüttelnd die Kabine auf.

8. Nova Scotia – Hilfe von David
    „Ma’m?“ Eine Hand berührt Marisa an der Schulter. „Kann ich Ihnen helfen?“
    Marisa blickt auf. Sie hat nicht bemerkt, dass sich ein Wagen genähert hat. Ein Jeep steht auf der unbefestigten Straße, die Fahrertür offen, Musik dringt aus dem Innenraum, ein Countrysong. Ein Mann steht über sie gebeugt. Er hat eine Strickmütze auf dem Kopf und trägt eine Sonnenbrille, die er jetzt abnimmt. „Ich bin David“, stellt er sich vor und reicht ihr die Hand zum Gruß.
    Mit einem letzten Schluchzer rappelt Marisa sich auf, merkt einen brennenden Schmerz auf ihrer Wange, streicht sich die Haare nach hinten und wischt sich die Tränen ab. Zwei Augen, eingebettet in ein von zahlreichen Falten gegerbtes, gelebtes Gesicht, mustern sie ungeniert und auf fast gleicher
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