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Dunkle Halunken: Roman (German Edition)

Dunkle Halunken: Roman (German Edition)

Titel: Dunkle Halunken: Roman (German Edition)
Autoren: Terry Pratchett
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verließ.
    Die Nacht verging schnell, weil schon ein großer Teil von ihr ins Gestern geschlüpft war. Dodger saß auf dem Boden, lauschte dem langsamen Atmen der jungen Frau und dem Schnarchen von Missus Sharples, die es schaffte, beim Schlafen ein Auge offen zu halten. Der Blick dieses einen Auges blieb die ganze Zeit auf Dodger gerichtet wie eine Kompassnadel, die immerzu nach Norden zeigt. Warum hatte er sich das angetan? Warum fror er hier auf dem Boden? Er hätte doch auch gemütlich an Solomons warmem Ofen liegen können (einer wunderbaren Vorrichtung, mit der sich auch Gold einschmelzen ließ, wenn genug davon vorhanden war).
    Die Unbekannte war trotz ihrer Verletzungen schön, und er beobachtete sie, während er die feuchten, schmuddeligen und albernen Karten in seinen Händen hin und her drehte. Er betrachtete das Gesicht, das nur aus Blutergüssen zu bestehen schien. Die Mistkerle hatten sie nach Strich und Faden verprügelt, sie als Boxsack benutzt. Sie hatten Dodgers Brechstange zu spüren bekommen, aber das genügte nicht, nein, bei Gott, das war bei Weitem nicht genug! Er würde sie finden, jawohl, und windelweich schlagen …
    Dodger erwachte am Boden, in einer Düsternis, die nur von schwach flackerndem Kerzenlicht erhellt wurde. Er wusste nicht, wo er war, bis er seine Umgebung erkannte, zu der auch Missus Sharples in ihrem Sessel gehörte – sie schnarchte noch immer wie ein Mann, der ein Schwein durchzusägen versucht. Aber viel wichtiger war eine leise, zitternde Stimme, die sagte: »Kann ich vielleicht ein bisschen Wasser haben?«
    Die Bitte versetzte Dodger kurz in Panik, doch dann entdeckte er den Wasserkrug neben der kleinen Schüssel und füllte ein Glas. Die junge Frau nahm es sehr vorsichtig entgegen, trank und bedeutete ihm, es noch einmal zu füllen. Dodger blickte zu Missus Sharples hinüber, schenkte das Glas erneut voll, reichte es der Unbekannten und flüsterte: »Bitte, nenn mir deinen Namen!«
    Die junge Frau sprach nicht, sondern krächzte eher, aber es war ein damenhaftes Krächzen, wie man es vielleicht von einer Froschprinzessin erwarten durfte, und sie sagte: »Es ist besser, wenn ich meinen Namen nicht verrate, aber du bist sehr freundlich.«
    Dodger stand förmlich in Flammen. »Warum haben dich die Kerle zusammengeschlagen? Kannst du mir wenigstens ihre Namen nennen?«
    Die traurige Stimme erhob sich erneut. »Nein, lieber nicht.«
    »Darf ich dann deine Hand halten in dieser kalten Nacht?« Das war angeblich eine christliche Geste – so hatte er jedenfalls gehört. Dennoch erstaunte es ihn ein wenig, als ihm die junge Frau tatsächlich die Hand darbot. Er ergriff sie, betrachtete mit großer Aufmerksamkeit den Ring an ihrem Finger. Das ist ein Haufen Gold, dachte er. Und es zeigte ein Wappen. Oh, mit einem Wappen konnte man schnell in Schwierigkeiten geraten. Auf dem Wappen waren Adler zu sehen, und hinzu kamen einige ausländische Worte. Ein Ring, der etwas bedeutete, hatte Charlie gesagt. Ein Ring, den jemand bestimmt nicht verlieren wollte. Und die Adler wirkten irgendwie böse.
    Die junge Frau bemerkte seinen Blick. »Er hat behauptet, dass er mich liebt … mein Ehemann. Dann ließ er mich schlagen. Aber meine Mutter hat immer gesagt, dass man frei ist, wenn man nach England kommt. Bitte, lass nicht zu, dass man mich zurückbringt, Sir! Ich will nicht zurück.«
    Dodger beugte sich vor und flüsterte: »Ich bin kein Sir, Miss. Ich bin Dodger.«
    »Dodger?«, wiederholte die junge Frau schläfrig, und er glaubte, einen deutschen Akzent herauszuhören. »Kommt das von dodge, von ausweichen und sich hin und her wenden? Ich danke dir, Dodger. Du bist nett, und ich bin müde.«
    Dodger fing das Glas auf, als die junge Frau in die Kissen zurücksank.
    [1]  Im Gegensatz zu seiner Behauptung Charlie gegenüber konnte Dodger sehr wohl lesen – er hatte es vom Uhrmacher Solomon gelernt, bei dem er wohnte, und die Zeitung war der Jewish Chronicle . Aber es war immer besser, den Leuten nicht mehr zu sagen, als sie unbedingt wissen mussten.

2
Dodger begegnet einem Sterbenden, und ein Sterbender sieht die Lady – und Dodger wird König der Tosher
    Missus Sharples erwachte, als die Glocken fünf Uhr schlugen, und gab ein Geräusch von sich, das wie Blort! klang. Ihre Augen füllten sich mit Gift, als sie Dodger gewahr wurden, und sofort hielt sie im Zimmer Ausschau nach Anzeichen von Kriminalität.
    »Also gut, du junger Schlingel, du hast eine angenehme warme Nacht in
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