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Duenenmond

Duenenmond

Titel: Duenenmond
Autoren: Lena Johannson
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weiche Lippen. Seine Wärme und die Zartheit dieser Geste, die so gar nicht zu ihm passen wollte, gefielen Jo gut.

II
    A m nächsten Morgen fand Jo einen Zettel auf dem Parkettfußboden, den jemand unter ihrer Tür hindurch geschoben hatte.
    Hole Dich um 21 Uhr ab. Freue mich auf Dich, Jan , stand darauf.
    Jos Herz machte einen Hüpfer. Sie freute sich auch auf ihn. Den ganzen Tag musste sie wie ein verknallter Teenager an ihn denken und wunderte sich immer wieder darüber, wie sehr er sie doch überrascht hatte. Sie musste sich eingestehen, dass sie einem Mann von zweiunddreißig, der in einem kleinen Dorf geboren worden war und nun wieder dort lebte, grundsätzlich nicht viel zutraute. Sie hatte Vorurteile, so viel stand fest. Sie war tatsächlich davon ausgegangen, dass ein solches Land-Ei zumindest ein wenig einfältig sein musste. Doch am Abend zusammen mit seinem Freund Sönke hatte Jan sich als interessierter weltoffener Mensch präsentiert, der ein halbes Jahr in Madrid und zwei Jahre in London gelebt hatte, um die Sprachen der Länder zu lernen und Erfahrungen im Ausland zu sammeln. In Madrid hatte er sich seinen Aufenthalt als Nachtwächter im Kunstmuseum verdient, in London als Nachtportier in drei verschiedenen Hotels. Jo konnte nicht begreifen, dass er mit seinem offenkundigen Sprachtalent und diesen Erfahrungen auf den Darß zurückgekommen war. Doch wenn sie gründlich darüber nachdachte, hätte sie ihn soweit noch verstehen können. Aber warum hatte er nicht beispielsweise eine Hotelfachschule absolviert und sich in seiner schönen Heimat selbständig gemacht? Stattdessen lief er im Blaumann herum oder schob einen altersschwachen Eiswagen über den Strand. Reine Verschwendung in ihren Augen.
    Der Wind vom Vortag hielt an, und der Himmel war bedeckt. Genau richtig, um einen Streifzug durch die Galerien zu unternehmen. In Prerow entdeckte Jo eine Cartoon-Ausstellungunter freiem Himmel. Sie amüsierte sich prächtig über die gestochen auf Papier gebannten Urlaubsfreuden und Urlaubsleiden am Meer, darüber, wie die Zeichner mit wenigen Strichen ganze Geschichten erzählten und auf den Punkt brachten. Nach einer Stunde hatte sie alle Zeichnungen und Skizzen gesehen, kaufte sich ein Fischbrötchen und spazierte zur Seebrücke. Sie wanderte auf den Holzplanken bis zum Ende der Brücke. Dort stand sie eine Weile und sah auf die Ostsee hinaus. Unter ihr schaukelten Möwen auf den Wellen und legten keck die Köpfe schief. Jo brach Krümel von ihrem Brötchen ab und warf sie ihnen zu. Sofort stießen sie in die Höhe und kabbelten sich um die Beute. Eine besonders vorwitzige Möwe traute sich sogar auf das hölzerne Geländer und harrte nur wenige Zentimeter von Jo entfernt aus.
    »Du bist zwar ganz schön aufdringlich«, sagte Jo zu dem Vogel, »hast dir für deinen Mut aber eine Belohnung verdient.« Damit zwackte sie ein Stückchen von ihrem Bismarckhering ab und legte es behutsam unter den aufmerksamen Blicken aus hellblauen Möwenaugen auf dem Holzgeländer ab. Der Vogel reckte seinen weiß gefiederten Hals, konnte den Leckerbissen aber nicht erreichen. Abwechselnd sah er auf den Fischbrocken und zu Jo hinauf, als wollte er aus ihrem Gesicht lesen, ob sie ihm ohne Hintergedanken den Tisch gedeckt oder doch eine Falle gestellt hatte.
    Das Spiel dauerte einige Minuten. Jo blieb nahezu bewegungslos stehen und freute sich daran, das Tier in aller Ruhe aus dieser Nähe beobachten zu können. Mit einem Mal hüpfte die Möwe wenige Zentimeter vor, gerade weit genug, um blitzschnell das Heringsstückchen mit dem orange leuchtendenSchnabel packen und davonsegeln zu können. Jo sah ihr eine Weile nach und spazierte dann langsam zurück. Sie informierte sich, wann der Bus nach Ahrenshoop fuhr, und stellte fest, dass ihr noch eine gute halbe Stunde blieb. Ihr fiel ein kleines knallrot gestrichenes Häuschen auf, das eine Galerie beherbergte, in der sie noch nicht gewesen war. In einem der kleinen Fenster hing eine Kreidezeichnung von einer Möwe, die Jo nach ihrem kleinen Erlebnis sofort ins Auge fiel. Also trat sie ein.
    Eine zierliche Frau mit grauem, sehr kurz geschnittenem Haar begrüßte sie. Jo hatte rasch den Eindruck, hier nichts Außergewöhnliches zu finden. Die üblichen Motive, der bekannte verklärt romantische Stil, den sie nicht ausstehen konnte. Sie drehte sich um, um noch rasch einen Blick auf die hinter ihr liegende Wand zu werfen, und erstarrte in der Bewegung. Da hing ein Bild, das die Dünen
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