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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab
Autoren: Sven Koch
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Femke hatte begriffen. Die Benachrichtigung bedeutete, dass ein Alarm ausgelöst worden war, als Fred den Bunker betreten hatte. Die Mitteilung war auf Ruvens Handy eingegangen. Das wiederum bedeutete, dass Tjark einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Schlagartig verstand er, dass er einem Psychopathen auf den Leim gegangen war, der sich mit entwaffnender Offenheit und Charme wie ein Chamäleon tarnte. Es stimmte wohl: Man kann das Böse umso schlechter wahrnehmen, je näher man ihm ist.
    Als Tjark sich umdrehte und nach Femkes Dienstwaffe fasste, die noch immer in seinem Hosenbund steckte, blickte ihn das Böse direkt an. »Ich denke«, sagte Ruven und legte mit der Schrotflinte auf Tjark und Femke an, »es ist jetzt an der Zeit, den Motor abzustellen.«

82
    Der Außenborder des Bootes klang wie ein auf Hochtouren drehender Rasenmäher, fand Ceylan. Sie saß neben Fred und leuchtete das Areal vor dem Boot so gut aus wie möglich, aber im Grunde sahen sie nicht mehr als weißen Dampf und ein paar Wellen. Am Heck hockte Torsten in seiner Polizeiuniform. Er hatte zwar zunächst protestiert, dann aber erklärt, dass er wisse, wie man ein solches Boot steuert, und dass er dazu bereit sei – auch wenn er das alles für Schiet und Leichtsinn halte. In dem Boot lagen zusammengefaltete Lkw-Planen, Klebeband und eine Rolle Nylonseil. Laut Fred die Utensilien, die der Dünenmörder verwendete.
    Fred hielt die Hand hoch. Der Motor stoppte und tuckerte im Leerlauf. Das Boot glitt dahin. Ceylan formte mit den Händen einen Trichter und rief so laut sie konnte, dass Hilfe unterwegs sei. Alle drei lauschten. Schließlich kam ein ersticktes Rufen von rechts. Es war deutlich besser zu hören als vorher, wurde aber abgewürgt. Dann klang es erneut auf. Fred gab wieder ein Zeichen. Torsten änderte die Fahrtrichtung und hielt auf das Rufen zu, das unmittelbar im Motorengedröhn unterging.
    Ceylan nahm an, dass die Frau den Außenborder hören würde, und hoffte, dass ihr das Mut verleihen würde. Aber sie mussten verdammt aufpassen, dass sie die Frau nicht überfuhren, die in den Wellen um ihr Leben kämpfte. Jederzeit, dachte Ceylan, konnte ihre Kraft nachlassen. Es war kalt, das Meer erst recht. Irgendwann verkrampften sich die Muskeln. Dann konnte man nicht mehr mit Schwimmstößen gegen die Strömung ankämpfen. Dann war es vorbei.
    Fred gab ein weiteres Mal das Zeichen zum Stoppen. Erneut drosselte Torsten den Motor. Wieder rief Ceylan in die Dunkelheit. Dieses Mal dauerte es eine ganze Weile, bis sie eine Antwort hörten. Sie kam von links. Wie war das möglich? War die Frau bereits fortgetrieben worden? Waren sie an ihr vorbeigefahren? Nun, dann konnten sie nicht mehr weit entfernt sein. Fred gab ein Signal. Torsten änderte die Fahrtrichtung.
    Es war eine Odyssee im Nebel, dachte Ceylan. Stück für Stück und Schritt für Schritt mussten sie sich vorarbeiten. Das konnte am Ende klappen – oder auch sinnlos sein. Freds Handy klingelte. Er legte die Taschenlampe zur Seite, hielt sich das Telefon ans Ohr und steckte einen Finger in das andere. Jetzt gab Ceylan ein Zeichen zum Anhalten. Sie hörte Fred reden und rief ins Nichts hinein. Es gab eine Antwort – jetzt wieder von rechts, und zwar von rechts hinten! Es war zum Verrücktwerden …
    Schließlich brummte es laut, aber das war nicht der Klang des Außenborders. Es hörte sich an, als würde sich ein anderes Boot nähern. Mit einem Schlag begann der Nebel zu glühen wie ein lebendiges Wesen. Sturm kam auf. Das Boot begann zu schaukeln.
    »Luftunterstützung!«, rief Fred gegen den Lärm. »Der Hubschrauber ist da!« Er wedelte mit dem Handy. »Die nutzen mein GPS zur Ortung!«
    »Fred! Bei dem Krach hören wir die Stimme nicht mehr!«
    »Was?« Fred legte eine Hand ans Ohr.
    »Wir hören die Frau nicht mehr in dem Lärm!«
    Fred machte ein genervtes Gesicht und brüllte: »Mist!«

83
    »Die Waffe«, sagte Ruven und deutete mit dem Gewehr zur Seite, »wirfst du besser ins Meer, Tjark. Und das Handy schiebst du mir über den Boden zu.«
    Tjark saß eng gedrängt neben Femke am Bug der Desire. Er hielt das Telefon in der Linken, die Waffe in der Rechten und wog die Chancen ab. Er war kein Linkshänder. Es würde viel zu lange dauern, mit dem Smartphone einen Notruf abzusetzen, wenn er überhaupt die richtigen Bedienfelder fand, und Ruven würde einen solchen Versuch in jedem Fall bemerken und handeln. Wenn er sehr schnell wäre, könnte er mit der Dienstwaffe einen
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