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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition)
Autoren: James Joyce
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setzte. Kaum hatte er sich gesetzt, da sprang Mahony auf, der die Katze entdeckt hatte, die ihm entwischt war, und verfolgte sie quer über das Feld. Der Mann und ich beobachteten die Jagd. Die Katze entwischte wieder, und Mahony fing an, die Mauer mit Steinen zu bewerfen, die sie erklommen hatte. Als er davon abgelassen hatte, begann er, am entfernten Ende des Feldes ziellos umherzustreifen.
    Nach einer Weile sprach der Mann mich an. Er sagte, mein Freund sei ein sehr grober Junge, und fragte, ob er in der Schule oft den Stock bekäme. Ich wollte schon empört entgegnen, wir gingen doch nicht auf eine National School, wo man den Stock bekommt * , wie er das nannte; aber ich schwieg. Er fing an, sich über die Züchtigung von Jungen auszulassen. Seine Gedanken schienen, abermals wie magnetisiert von seinen Worten, wieder und wieder langsam um diesen neuen Mittelpunkt zu kreisen. Er sagte, dass Jungen dieser Art Prügel verdienten, und zwar richtige Prügel. Bei einem Jungen, der rüpelhaft und ungezogen sei, helfe nur eine gute, saftige Tracht Prügel. Ein Klaps auf dieFinger oder eine Ohrfeige würden da nichts ausrichten: So einer brauche einfach eine schöne, derbe Portion Prügel. Ich war erstaunt über derartige Ansichten und sah unwillkürlich zu seinem Gesicht auf. Als ich das tat, traf mich ein stechender Blick aus einem Paar flaschengrüner Augen, die mich unter einer zuckenden Stirn hervor anstarrten. Ich wandte meine Augen wieder ab.
    Der Mann setzte seinen Monolog fort. Er schien seine eben noch so freizügige Einstellung vergessen zu haben. Er sagte, dass er einen Jungen, falls er ihn je dabei erwischte, mit Mädchen zu reden oder ein Mädchen als Liebchen zu haben, windelweich prügeln würde; und das würde ihn lehren, nicht mehr mit Mädchen zu reden. Und wenn ein Junge ein Mädchen als Liebchen habe und Lügen darüber erzähle, dann bekäme der von ihm Prügel über Prügel, wie sie noch kein Junge auf dieser Welt bekommen habe. Er sagte, dass es nichts auf dieser Welt gäbe, was er so gerne tun würde. Er beschrieb mir, wie er einen solchen Jungen durchprügeln wolle, so als ob er ein schwer zu ergründendes Mysterium enthüllen würde. Er würde so etwas lieben, sagte er, mehr als alles andere auf dieser Welt; und während er mich monoton durch dieses Mysterium geleitete, nahm seine Stimme fast einen zärtlichen Ton an und schien mich flehentlich zu bitten, ihn doch zu verstehen.
    Ich wartete, bis sein Monolog wieder abbrach. Dann stand ich abrupt auf. Um nicht zu zeigen, wie aufgeregt ich war, blieb ich noch einen Augenblick und tat so, als bände ich meinen Schuh fester; und dann erklärte ich, ich müsse nun aufbrechen, und verabschiedete mich. Ich stieg die Böschung ohne Hast hinauf, aber mein Herz schlug heftig, vor Angst, der Mann könnte mich an den Fußgelenken packen. Als ich oben auf der Böschung angekommen war, drehte ich mich um, und ohne nach ihm zu schauen, rief ich laut über das Feld:
    – Murphy!
    Meine Stimme hatte einen Ton erzwungener Tapferkeit, und ich schämte mich meiner läppischen Kriegslist. Ich musste den Namen noch einmal rufen, bevor Mahony mich entdeckte und mir mit Hallo-Rufen Antwort gab. Wie mein Herz schlug, als er über das Feld auf mich zu rannte! Er rannte, als wollte er mir zu Hilfe kommen. Und ich war reumütig, denn in meinem Herzen hatte ich ihn immer ein wenig verachtet.

A RABIA
    North Richmond Street, eine Sackgasse, war eine stille Straße, ausgenommen zu der Stunde, wenn die Schule der Christian Brothers * die Jungen in die Freiheit entließ. Ein unbewohntes zweistöckiges Haus stand am Ende der Sackgasse, etwas abseits von seinen Nachbarn, auf einem quadratischen Grundstück. Die anderen Häuser waren sich des gutbürgerlichen Lebens in ihrem Innern bewusst und sahen einander gleichmütig mit braunen Gesichtern an.
    Der frühere Mieter unseres Hauses, ein Priester, war in dem nach hinten gelegenen Wohnzimmer gestorben. Überall hing Modergeruch, da die Luft in allen Zimmern lange eingesperrt gewesen war, und in der Rumpelkammer hinter der Küche lag allerhand altes Papier umher. Dort fand ich einige kartonierte Bücher, deren Seiten gewellt und feucht waren: Der Abt von Walter Scott, Das fromme Kommunionkind und Die Memoiren des Monsieur Vidocq . * Das Letztere gefiel mir am besten, weil seine Seiten vergilbt waren. In der Mitte des verwilderten Gartens hinter dem Haus stand ein Apfelbaum, und unter einem der ausladenden Büsche fand ich die
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