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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition)
Autoren: James Joyce
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ich meine Handflächen aneinander, bis sie zitterten, und murmelte immer wieder: O Liebste, o Liebste! Viele Male .
    Schließlich sprach sie mich an. Als sie die ersten Worte an mich richtete, war ich so verwirrt, dass ich nicht wusste, was ich antworten sollte. Sie fragte mich, ob ich zum »Arabia« ginge. Ich weiß nicht mehr, ob ich Ja oder Nein antwortete. Es werde gewiss ein schöner Basar, sagte sie; sie würde zu gerne hingehen.
    – Und warum kannst du nicht?, fragte ich.
    Während sie sprach, drehte sie einen silbernen Armreif unablässig um ihr Handgelenk. Sie könne nicht gehen, sagte sie, weil in dieser Woche in ihrer Klosterschule Exerzitien * stattfänden. Ihr Bruder und zwei andere Jungen balgten sich um ihre Mützen, und ich stand allein am Gitterzaun. Sie hielt sich an einer der spitzen Stangen und beugte ihren Kopf zu mir. Der Lichtschein der Laterne gegenüber unserer Haustür floss über ihren gewölbten weißen Hals, ließ ihr Haar hell schimmern, das sich an den Hals schmiegte, und fiel hell auf die Hand am Gitterzaun. Er floss über die eine Seite ihres Kleides und ließ den Saum ihres Unterrocks hell schimmern, der ein wenig hervorsah, während sie so unbefangen dastand.
    – Du hast es leicht, sagte sie.
    – Wenn ich hingehe, sagte ich, bring ich dir etwas mit.
    Welche unzähligen Torheiten besetzten von diesem Abend an meine Gedanken im Wachen und im Schlaf! Am liebsten hätte ich die dazwischen liegenden öden Tage ausgelöscht. Ich sträubte mich gegen die Schularbeiten. Nachts in meinem Schlafzimmer und tags im Klassenzimmer schobsich ihr Bild zwischen mich und die Seite, die ich zu lesen versuchte. Ich vernahm die Silben des Wortes Arabia durch die Stille hindurch, in der meine Seele schwelgte, und erlag seinem orientalischen Zauber. Ich bat um Erlaubnis, am Samstagabend den Basar besuchen zu dürfen. Meine Tante war überrascht und hoffte, es handle sich nicht um eine freimaurerische Veranstaltung. Im Unterricht beantwortete ich selten eine Frage. Ich beobachtete, wie sich die Freundlichkeit im Gesicht meines Lehrers in Strenge verwandelte; er hoffte, dass ich nicht anfing zu faulenzen. Es gelang mir nicht, meine schweifenden Gedanken zusammenzuhalten. Ich hatte nur noch wenig Geduld mit der ernsten Arbeit des Lebens, die mir jetzt, da sie zwischen mir und meinem Verlangen stand, als eine Kinderei erschien, eine abstoßende, eintönige Kinderei.
    Am Samstagmorgen erinnerte ich meinen Onkel daran, dass ich am Abend zum Basar gehen wollte. Er war am Garderobenständer beschäftigt, wo er nach einer Hutbürste suchte, und sagte nur kurz:
    – Ja, Junge, ich weiß.
    Da er sich in der Diele befand, konnte ich nicht in das vordere Wohnzimmer gehen und mich ans Fenster legen. Ich verließ das Haus schlecht gelaunt und ging langsam zur Schule. Die Luft war unbarmherzig kalt, und jetzt schon ließ mein Herz mich Böses ahnen.
    Als ich zum Abendessen nach Hause kam, war mein Onkel noch nicht da. Noch war es früh. Eine Zeit lang saß ich da und starrte die Uhr an, und als ihr Ticken mir auf die Nerven ging, verließ ich das Zimmer. Ich stieg die Treppe hinauf, bis ich den oberen Teil des Hauses erreichte. In den hohen, kalten, leeren, düsteren Räumen fühlte ich mich befreit, und singend ging ich von Zimmer zu Zimmer. Vom vorderen Fenster aus sah ich meine Kameraden unten auf der Straße spielen. Ihre Rufe erreichten mich nurgedämpft und undeutlich, und während ich meine Stirn an die kalte Scheibe lehnte, sah ich hinüber zu dem dunklen Haus, in dem sie wohnte. So stand ich vielleicht eine Stunde lang und sah nichts, außer ihrer braun gekleideten Gestalt, wie meine Phantasie sie zeichnete, vom Schein der Straßenlampe zart am gewölbten Hals berührt, an der Hand, die sich am Gitterzaun festhielt, und an dem Saum unter ihrem Kleid.
    Als ich wieder hinunterging, fand ich Mrs Mercer am Kaminfeuer sitzend vor. Sie war eine geschwätzige alte Frau, die Witwe eines Pfandleihers, die für irgendeinen frommen Zweck alte Briefmarken sammelte. Bei Tisch musste ich die Klatschgeschichten über mich ergehen lassen. Das Abendessen zog sich mehr als eine Stunde hin, und noch immer kam mein Onkel nicht. Mrs Mercer stand auf, um zu gehen: Es tue ihr leid, nicht länger warten zu können, aber es sei schon acht Uhr vorbei, und sie sei nicht gern spät unterwegs, da die Nachtluft ihr schade. Als sie gegangen war, stand ich auf und lief mit geballten Fäusten im Zimmer auf und ab. Meine Tante sagte:
    – Ich
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