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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Autoren: Jochen Missfeldt
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Marschochsen für die Armen schlachten ließ. Ruhig und besonnen, mit einem strengen Zug um den Mund, mit freundlichen blauen Augen und gepudertem Haar, so sieht Storm seinen Urgroßvater auf einem vergoldeten Medaillon.
    Storms Großvater Simon Woldsen (1754–1820) hatte nicht das kaufmännische Großtalent geerbt. Stille und Milde kennzeichneten sein Wesen. Sein Vater schickte ihn auf Bildungsreise nach Frankreich, er übernahm die väterliche Zuckerfabrik und wurde Senator in Husum. Er heiratete Magdalene Feddersen, Storms Großmutter.
    Magdalene und ihre Schwester Christine waren Töchter des hoch geachteten Kaufmanns und Senators Joachim Christian Feddersen (1740–1801). Sein Haus Ecke Schiffbrücke/Twiete zeugte vom erwirtschafteten Wohlstand und von Ansehen. Er war ein Liebhaber und Kenner von Kupferstichen, die in seinem Hause an den Wänden hingen. Hier versammelte sich die »Vereinigte freundschaftliche Gesellschaft«, wenn die Reihe an ihn als Gastgeber gekommen war. Dann gab es Kaffee und Kuchen, keinen Tee. Abends tranken die Männer Punsch, sie sangen Trinklieder wie am Stammtisch; wer aber fluchte oder unpünktlich war, wurde zur Kasse gebeten für die Armen der Stadt. Mutter Elsabe, die Töchter Magdalene und Christine hielten sich im Hintergrund.
    Storm beschreibt dieses Haus und seine Bewohner in den »Zerstreuten Kapiteln«. Der Garten seiner Urgroßmutter lag abseits an der Husumer Au; dorthin ging der kleine Storm an Urgroßmutters Hand, schritt mit ihr über mit Muscheln belegte weiße und weißblaue Gartensteige, saß mit ihr im Gartenhaus, das von Jelängerjelieber überwachsen und über die Au hinausgebaut worden war. Garten – hier, bei Urgroßmutter Feddersen (1741–1829), liegt er wie eine erste Familienfundsache in der Stormschen Chronik; der Garten wurde Storm wichtig, ja lebensnotwendig. Garten – das war ihm ein sicher tragender Grund und Boden, ein Element, in dem auch der sprachliche Ausdruck seiner Novellen ruhen konnte; dieses Stück Erde war ein überschaubares Areal, es war Ergebnis menschlicher Bearbeitung, also ein Stück Kultur, keine bedrohliche, chaotische Wildnis. Der Garten hatte einen Zaun, einen Rahmen, eine Grenze, die ihm maßvolle Größe gab und gesicherte Existenz bot.
    Ähnlich wie der Garten gehört auch das Klavier zu den früh erwähnten Fundsachen. Im Feddersenhaus stand im Zimmer der Töchter ein grün lackiertes Klavier, das war damals noch eine große Seltenheit , schreibt Gertrud Storm. Wie der Garten, so bedeutete auch das Klavier für Storm Heimat, gehörte zum Lebensnotwendigen. Es war das Instrument, mit dem er seinem Empfinden Ausdruck verleihen und darin versinken konnte. Das Klavier im Feddersenhaus ist auch ein Fingerzeig auf Storms musikalische Veranlagung; vermutlich Großmutter Magdalenes Erbteil, die ihrer Tochter Lucie das Musikalische in die Wiege gelegt hatte, die wiederum ihrem Sohn Theodor denselben Gefallen tat.
    Als Simon Woldsen, Magdalenes Ehemann und Großvater Theodor Storms, 1820 gestorben war und in einem mit schwarzem Tuch bezogenen Sarg lag, sagte einer seiner Schwiegersöhne, sein weinendes Kind emporhebend […]: Heule nicht, Junge! So sieht ein braver Mann aus, wenn er gestorben ist. Und der alte Kutscher sprach gut über seinen ehemaligen Herrn: Dat is min ol’ Herr; dat weer een guden Mann. Storms Mutter, die jüngste unter den drei Woldsen-Schwestern Magdalene (1793–1873), Elsabe (1795–1873) und Lucie (1797–1879), rief eines Tages, übermannt von der Erinnerung an ihren Vater, in die Familienrunde: So wie du hat Keiner mich doch geliebt .

Am Lagedeich
    Eine Reise mit Pferd und Wagen nach Westermühlen bei Rendsburg, wo Storms väterliche Verwandtschaft seit Generationen lebte, hätte durch die Südermarsch über Friedrichstadt führen können. Das wäre allerdings ein Umweg gewesen. Man hätte hier die Reise zwecks eines anderen Verwandtenbesuchs in einem hochherrschaftlichen Haus unterbrechen können: Hier lebte »Tante Lene«, Mutter Lucies Schwester Magdalene, die mit dem Großkaufmann und Senator Nicolaus Stuhr (1784–1834) verheiratet war. Stuhr betrieb in Friedrichstadt eine Ölmühle und Salzsiederei und handelte mit Essig und Kartoffelbranntwein. Sohn Friedrich Gustav (1813–1880) war Storms geschätzter »Vetter Fritz«. In Friedrichstadt hätte man ein Dampfboot besteigen können, man wäre auf der kurvenreichen Fluss-Strecke der Eider nach Rendsburg geschifft, um von dort aus mit der Pferdekutsche
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