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Du bist in meiner Hand

Du bist in meiner Hand

Titel: Du bist in meiner Hand
Autoren: Corban Addison
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nicht zur Kenntnis nahm. Stattdessen fuchtelte er mit einem Arm wild in der Luft herum und berichtete ihr von den Wellen.
    »Ich war mit meinem Boot draußen«, erklärte er, »und habe überhaupt nichts davon mitbekommen. Bei meiner Rückkehr war alles weg. Meine Frau, meine Kinder …« Er drehte sich um und machte eine ausladende Handbewegung, die seine zerlumpte Gefolgschaft mit einschloss. »Nur wir sind übrig geblieben.«
    Ahalya spürte den Kummer des Mannes und stählte sich zugleich gegen ihren eigenen, indem sie sich auf die vor ihnen liegenden Probleme konzentrierte.
    »Euer Dorfoberhaupt hat doch einen Lieferwagen«, sagte sie. »Wo ist der?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Kaputt.«
    »Und euer Trinkwasser? Bestimmt habt ihr noch volle Fässer aus der Monsunzeit.«
    »Die hat es alle weggespült.«
    »Wohin geht ihr?«, fragte sie erneut.
    »Nach Mahabalipuram«, antwortete der Mann. »Wir haben dort Verwandte.«
    Nur mit Mühe konnte Ahalya ihre Enttäuschung verbergen. Mahabalipuram lag acht Kilometer in die falsche Richtung. »Wir müssen nach Chennai.«
    Der Mann sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. »Das schafft ihr nie.«
    Ahalya entgegnete trotzig: »Und ob wir das schaffen!«
    Die Schwestern begleiteten die Dorfbewohner zurück zur Hauptstraße, wo sich ihre Wege trennten.
    »Wir sollten nach Kovallam gehen«, meldete sich Sita leise zu Wort. »Vielleicht kommen wir von dort mit einem Bus weiter.«
    Ahalya nickte. Kovallam war ein größeres Fischerdorf, das gut drei Kilometer in nördlicher Richtung lag. Selbst wenn sie dort keinen Bus fanden, war sie ziemlich sicher, dass sie auf dem Markt von Kovallam zumindest Trinkwasser bekommen würden. Erst einmal brauchten sie etwas zu trinken, alles Weitere würde sich dann zeigen.
    In der tropischen Hitze ging es nur langsam voran. Hin und wieder brachte eine Brise vom Ozean etwas Erfrischung. Ansonsten war ihr Fußmarsch eintönig und qualvoll. Ihre nassen, sandverkrusteten Sandalen sorgten dafür, dass ihre Füße bald wund gescheuert waren.
    Als sie Kovallam schließlich erreichten, waren beide beinahe am Ende ihrer Kräfte. Am Stand der Sonne schätzte Ahalya, dass es mittlerweile fast elf Uhr war. Wenn nicht irgendein Glücksfall eintrat, hatten sie kaum eine Chance, die Klosterschule vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.
    Im Dorf Kovallam ging es zu wie in einem Bienenstock. Ochsenkarren und andere hölzerne Gefährte drängten sich mit Autos und Fußgängern auf den engen, vom Wasser noch feuchten Straßen. Ahalya hielt eine alte Frau in einem schlammverkrusteten Sari an und fragte sie nach einem Bus in Richtung Chennai, doch die Frau war vor Kummer völlig außer sich.
    »Mein Sohn«, rief sie, »er war am Strand! Habt ihr ihn gesehen?«
    Ahalya schüttelte bedauernd den Kopf und wandte sich dann ab. Als Nächstes bat sie einen Mann, der einen Korb mit reifen Bananen trug, um Hilfe, aber er starrte sie nur mit leerem Blick an. Ein anderer Mann, der einen mit Trauben beladenen Handkarren hinter sich herzog, reagierte mit einem kurzen Kopfschütteln.
    »Wisst ihr denn nicht, was hier passiert ist?«, fügte er hinzu und spuckte einen Schwall Betelsaft auf die Straße. »Kein Mensch kann sagen, ob die Busse überhaupt noch fahren.«
    Ahalya kämpfte gegen eine plötzliche Woge der Verzweiflung an. Sie musste Ruhe bewahren, sonst würde sie vielleicht eine vorschnelle Entscheidung treffen und sie beide in Gefahr bringen.
    Sie führte Sita in den Markt von Kovallam hinein. Wie erwartet waren nur bei ein paar Ständen die Rollläden hochgezogen. Sie fragte einen Zuckerrohrverkäufer, ob er eine Flasche Wasser entbehren könne. Sie bemühte sich um ihr nettestes Lächeln, während sie ihm erklärte, dass die Welle ihre Börse fortgespült habe und sie deshalb nicht über Geld verfüge. Der Verkäufer musterte sie ohne jedes Mitgefühl.
    »Hier müssen alle bezahlen«, entgegnete er schroff. »Wir haben nichts zu verschenken.«
    Ahalya griff wieder nach Sitas Hand und steuerte auf einen Gemüseverkäufer zu. Sie schilderte ihm ihre Lage, woraufhin ihr der Mann voller Mitgefühl zwei Flaschen Wasser reichte und ihnen ein Fleckchen Schatten unter einem Sonnenschirm anbot.
    »Nandri«, sagte Ahalya, die das Wasser dankbar entgegennahm und sofort eine Flasche an Sita weiterreichte. »Danke.«
    Die Mädchen tranken durstig. Nachdem Sita ihre Flasche geleert hatte, lehnte sie den Kopf an Ahalyas Schulter und döste ein wenig vor sich
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