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Driver 2

Driver 2

Titel: Driver 2
Autoren: J Sallis
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Mähne, Jeanshemd mit abgerissenen Ärmeln, der Kopf wippte zur Musik, die sie berieselte. Der andere war um die fünfzig, sechzig Jahre alt; er starrte während des Essens gegen die Wand. Verloren in Tagträumen? Oder in alten Erinnerungen?
    Im Gehen ließ Driver seinen Pappteller, den Becher und das Handy in den Wertstoffcontainer fallen.

EINE JUNGE FRAU BEUGTE SICH über etwas, das aussah wie ein Gymnastikpferd, streckte den nackten Hintern in die Luft und aß einen Hamburger, während der Tätowierer seine Arbeit machte. Jedes Mal, wenn sie hineinbiss, kleckerte eine braune Schmiere aus Fett, Mayonnaise und anderem Zeug auf den Fußboden. Auf ihrem Hinterteil nahmen hebräische Buchstaben langsam Form an. Justins Augen glitten ständig zwischen ihrem Arsch und einem an die Wand gepinnten Bild hin und her. Seine Rastafrisur wirkte wie etwas, das man auf einem alten Dachboden gefunden hatte, sodass man das Ding schon fast nehmen und den Staub rausklopfen wollte. Die Jeans hing ihm tief um die Hüften, freier Oberkörper, an den Brustwarzen baumelten kleine goldene Anker. Nachdem er eine Weile zugesehen hatte, fragte Driver sich, ob der jungen Frau oder irgendjemand anderem eigentlich klar war, wie schlecht Justins Augen waren.
    Menschen, die ihre Besonderheiten so offen zur Schau stellten, waren Driver ein Rätsel. Er arbeitete immer hart daran, in der Menge zu verschwinden, nicht aufzufallen. Aber irgendwo konnte er sie auch verstehen.
    Der Tätowierer hatte sich zu ihm umgedreht. Driver beobachtete, wie seine Augen schwerfällig versuchten, das neue Objekt zu fokussieren.
    »So wie du aussiehst, bist du sicher nicht wegen eines Tattoos hier, also nehme ich mal an, du bist Felix’ Freund.« Er legte kurz eine Hand auf den Arsch des jungen Mädchens und sagte: »Bin gleich zurück, Süße.« Sie zuckte mit den Achseln und biss erneut in ihren Hamburger.
    Justin stieß sich von der Wand ab und rollte mit einem Bürostuhl über den Boden, fing sich am Tresen und stand geschmeidig auf.
    »Klamotten, Laptop, Sandwich, Cracker-Jacks«, sagte er und wuchtete eine Reisetasche auf den Tresen. »Und...«, fügte er hinzu, während er sich einen Bund von einem Nagel an der Tür schnappte: »Schlüssel. Ist ein bisschen außerhalb, abseits der befahrenen Wege. Aber gemütlich. Zumindest, soweit ich gehört hab.«
    »Nett von dir.«
    »Felix tut heutzutage nur selten jemandem einen solchen Gefallen. Marine?«
    »So in der Richtung.«
    »War klar. Also zurück zu meinen Hausaufgaben. Handy steckt drinnen. Ist sicher. Felix sagt, du sollst dich melden.«
    Die Frau hatte ihren Burger aufgegessen. Justin blickte auf die Pfütze am Boden und schüttelte den Kopf, während er wieder seinen Platz einnahm.

FRÜHER, NOCH VOR DEM HAUS , noch vor dem Job, noch vor Paul West, hatte er eine Vorliebe für Einkaufszentren gehabt. Er verstand selbst nie, warum, aber sie zogen ihn magisch an. Leuchtende Farben, üppige Auslagen in den Fenstern, das Gefühl und das Geräusch von all den Körpern, die sich einzeln und zusammen bewegten, Musik, Kindergeschrei, freundliches Geschwätz. Einkaufszentren waren ganze Länder, nur in klein. Er besuchte sie, betrat sie, als käme er geradewegs von einem Schiff. Wenn er nur lange genug dort gesessen hatte, ausreichend Kilometer durch die endlosen Arkaden und über abgewetzte Fußböden zurückgelegt, genug in den Restaurantbereichen gegessen hatte, dann war es, als würde sich etwas – ein tiefes Verständnis, eine Zugehörigkeit – um ihn herum manifestieren.
    Er hatte diesen Drang noch gehabt, als er Elsa kennenlernte – genau in diesem Einkaufszentrum. Regelmäßig waren sie dann zusammen wieder hergekommen. Als sie eines Tages dort saßen, vielleicht sogar am selben Tisch wie beim ersten Mal, hatte er ihr davon erzählt. Und dass er sich fragte, warum er immer wieder hierher zurückkam.
    Elsa hatte ihn auf diese ihr eigene, ruhige Art angesehen. »Du weißt es wirklich nicht, oder?« Ihre Augen wanderten nach oben, als eine Taube von den Streben über ihnen abhob und davonsegelte, in Richtung Dachkuppel. Dachte sie, das wäre der Himmel? »Es sind Hausaufgaben, Paul. Anthropologie. Du lernst, wie man das alles imitiert.«
    Und so war es wohl immer noch – denn er saß ja wieder hier.
    Er dachte daran zurück, wie er dort gesessen und gelauscht, die Stimmen und Kadenzen mit Erscheinungen verbunden hatte, hier eine Geschäftsfrau, da ein Arbeiter, der gerade zupackte, dort ein Lehrer, und wie er
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