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Drift

Drift

Titel: Drift
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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man wird paranoid, weil man es auf keinen Fall schaffen wird, nicht mit der abklingenden Bierfahne von voriger Nacht und den Glubschaugen, und man bringt die Lippen nicht auseinander – wie soll das denn gehen? Was, wenn man gefragt wird? Nach dem Wetter oder dem Lieblingsdrink, der bevorzugten Stellung beim Sex oder danach, |13| wohin es gehen soll? Was antwortet man dann? Mhmljamdrmst?
    Man ist tapfer und kämpft weiter, kaut schneller, je kürzer die Abstände zwischen den Tafeln werden, und bei »500 m« wird einem bewusst: Man wird es nicht schaffen. Also nimmt man noch einen letzten, möglichst großen Bissen und wirft den Rest über Bord. Das Herz tut einem weh und man beginnt sich zu fragen, ob die Chancen nicht doch besser gewesen wären, hätte man das Hasch einfach unter den Sitz geworfen und nicht einen Teil zum Fenster hinaus und den Rest in sich hinein, um dann halluzinierend vor Zöllnern und Polizisten zu sitzen und auf keine Frage antworten zu können – mal ganz abgesehen von der Verschwendung; hätte man nicht die besseren Chancen gehabt?
     
    Die Zeit für Kontemplation ist vorüber, man steht in der Schlange, drei Autos vor einem. Das Bier liegt im Kofferraum, man bringt den Mund nicht auf, beginnt mit der Zunge rumzuspielen, um ein bisschen Spucke zusammenzukriegen, doch es klappt nicht. Also nimmt man (das hat man, sechsjährig, aus einem Karl-May-Buch – war’s Winnetou oder Schmetterhand in Arabien?) eine Murmel in den Mund, die man in der Ablage zwischen den Sitzen findet (wie die Murmel da hinkommt und warum sie immer noch da liegt, weiß Gott beziehungsweise Manitu allein), und man versucht es so und tatsächlich bildet man sich ein, etwas mehr Spucke im Mund zu haben, aber dann Panik.
    Was, wenn der Beamte denkt, die Murmel im Mund sei das Hasch, das der Zöllner damals in Griechenland nicht entdeckt hat, als man Proviant für die Segelferien in den Backen rüberschmuggelte; was, wenn man sich verschluckt und dem Zöllner schließlich Hasch und Murmel an einer pikanten Biersauce vor die Füße kotzt?
    Man nimmt sie raus, die Murmel, bevor man dem Feind zu nahe ist, die schauen nämlich immer schon vorher, die Zöllner, aus genau diesen Gründen: Legt jemand noch schnell etwas weg, steckt er |14| Koks in den Stiefel, rückt er die Pistole unter dem Sitz zurecht oder hält er dem entführten Baby den Mund zu? Mit sechs Gramm Hasch im Bauch ist man sehr, sehr aufmerksam.
     
    Man fährt langsam an, den Blick möglichst neben die Zöllner und Polizisten auf den Wagen vor einem gerichtet, der gerade los- und nach Italien hineinfährt, und dann ist es so weit: Man lässt das Fenster runter, macht das Radio leiser und versucht mit möglichst gleichgültigem Gesicht, den Anschein eines normalen Menschen zu machen.
    Der Zöllner schaut einen trotzdem kritisch an, als man ihm den Pass durchs Fenster reicht, das ist sein Job, und man hat Glück in der ganzen Misere, denn der Zöllner kümmert sich mehr um die Übereinstimmung des Bildes im Passaporto mit dem Gesicht im Wagen als um die Augen des Fahrers und dessen Haschpegel, und man antwortet auf die Frage, wohin man wolle, cool und erstaunlich deutlich: Nach Milano, eine Freundin besuchen. Es wird noch besser und der Zöllner ist nicht impertinent und fragt etwa nach der Straße (die man in diesem Moment einfach nicht gewusst und gelogen hätte, man habe an der letzten Raststätte vor Milano abgemacht und würde dort von der italienischen Amica abgeholt) und auch nicht nach der BH-Größe oder dem Namen der ominösen Freundin in Milano. Und so nickt man zurück, versucht ein Lächeln und macht, dass man mit möglichst wenig Druck aufs Gaspedal und samtig weichem Kuppeln delikat davonkommt.
     
    Das Jauchzen und die freudigen Schläge auf das Lenkrad stellen sich nach ungefähr hundert Metern ein und das, obwohl man keinen Grund dazu hat, wo man sich doch umbringen und in den Krieg ziehen will und kein bisschen Lebensfreude mehr in sich tragen dürfte, aber was soll’s, zum Teufel. Man jauchzt, wie der Mensch das dann tut, wenn er das vermeintlich Unmögliche mit einem Äußersten an Heldenmut und einer göttlichen Portion Glück geschafft |15| hat, und man denkt sich: Nichts wie ab zur nächsten Raststätte – und zwar der unmittelbar nächsten, nicht der erst kurz vor Milano, an der die Freundin (mit BH-Größe 75 C, so nebenbei) vergebens auf einen wartet: Whisky, ein Sandwich, man platzt vor Energie und Zuversicht und das Haschisch
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