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Dreimal Liebe

Dreimal Liebe

Titel: Dreimal Liebe
Autoren: Carina Bartsch
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verloren hatte.
    »Warte«, sagte sie hektisch und bückte sich, um den Blindenstock, seine Tasche und seine Jacke aufzuheben. Nacheinander und mit einem »Hier« überreichte sie ihm seine Sachen, darauf bedacht, ihn nicht zu berühren. Anna konnte nicht ahnen, dass sie mit ihrer Hilfe Tobias’ Gefühl der eigenen Unfähigkeit nur noch mehr schürte.
    »Danke«, sagte Tobias knapp. Eine Entschuldigung, dass er ihr im Weg gestanden und sich so blöd benommen hatte, lag auf seinen Lippen, aber er brachte kein Wort hervor. Nicht in der Lage, auch nur eine weitere Sekunde in ihrer Gegenwart zu bleiben und die damit verbunden Gefühle zu ertragen, orientierte er sich kurz neu. Hinter ihm tastete er eine Stuhlreihe, also musste die Tür auf der gegenüberliegenden Seite sein. Tobias ließ seinen Stock über den Boden schweifen, setzte langsam einen Fuß vor den anderen, bis er die Ecken der Türrahmen fand und wortlos in den Flur tauchte.
    Anna blieb im Klassenzimmer stehen und starrte ihm nach. Kein Wort der Welt beschrieb, wie unsagbar mies sie sich fühlte. Tobias war sauer auf sie, und das vollkommen zu Recht. Ihr Verhalten war unverzeihlich gewesen, so etwas hätte ihr nicht passieren dürfen.
    Sie verharrte noch eine Weile in ihrer Position, ehe sie sich in die Haare griff, den Kopf in den Nacken legte und zu ihrem Sitzplatz schlurfte, um den grünen Schal zu holen, der über der Stuhllehne hing. Sie wickelte ihn mehrfach um und als sie ebenfalls nach draußen gehen wollte, fiel ihr Blick plötzlich auf ein ziemlich farblos gehaltenes Buch, das am Boden lag. Sie bückte sich, um es aufzuheben, und bemerkte ziemlich schnell, dass es sich um kein normales Buch handelte. Es gehörte Tobias.
    Ohne darüber nachzudenken rannte sie los, in der Hoffnung, ihn noch einholen zu können. Doch als sie den Parkplatz erreichte, sah sie nur noch in der Ferne, wie Tobias in den silbernen Skoda seiner Mutter stieg, mit dem sie ihn montags bis freitags von der Schule abholte. Langsam kam Anna zum Stehen und sah dem Auto hinterher, als es vom Schulgelände fuhr.
    Es sollte nicht zum letzten Mal an diesem Tag sein, dass Anna auf das Heck des Autos blickte. Wenige Stunden später, am Nachmittag, stand sie direkt davor. Dieses Mal parkte es in dem Carport vor dem Anwesen von Tobias’ Eltern. Ein beiges Einfamilienhaus, mit einem großen Garten und einem Gewächshaus, das an den Pfad zur Haustür grenzte. Die Winterlandschaft hatte Einzug gehalten und dominierte mit brauner Kahlheit die im Sommer wahrscheinlich schön anmutenden Blumen- und Gemüsebeete. Anna war so beeindruckt von der Tatsache, dass sie zum ersten Mal vor Tobias’ Haus stand, dass sie für einen kurzen Moment vergessen hatte, wie nervös sie eigentlich war. Doch schon bald steckte ihr die Überwindung, die sie das Herkommen gekostet hatte, wieder in den Knochen.
    Ihrem alten, rostigen roten Fahrrad den Rücken zukehrend und Tobias’ Buch vor dem Bauch haltend, blieb sie noch einen Moment mit Blick auf das Gebäude stehen, bis sie sich schließlich Mut zusprach, einen tiefen, unterstützenden Atemzug nahm und langsam auf die Haustür zusteuerte. Sie stieg die wenigen Treppen nach oben, beschloss, wenn das Haus innen so sauber und ordentlich gehalten war wie es von außen den Anschein machte, besser nichts anzufassen, und klopfte mit einem flauen Gefühl im Magen an die Tür.
    Es dauerte nicht lange, bis diese von einer hochgewachsenen, schlanken Frau mittleren Alters geöffnet wurde. Ihre langen dunkelbraunen Locken fielen wie ein Wasserfall über ihre Schultern und auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein neugieriger, aber freundlicher Ausdruck ab. Bisher hatte Anna Tobias’ Mutter nur von weitem gesehen. Von nahem sah sie jünger aus als von der Ferne.
    »Ja, bitte?«, fragte Frau Schindler.
    »Ich …«, Anna senkte den Kopf, blickte auf den Buchumschlag, »Tobias hat sein Buch verloren, und da dachte ich, ich bringe es ihm vorbei, weil ich nicht wusste, ob er es vor Montag vielleicht noch braucht.«
    Frau Schindler folgte Annas Blick, die Überraschung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, ehe nach und nach ein Strahlen in ihre dunklen Augen trat. »Das ist aber nett von dir. Wie ist denn dein Name?«
    »Anna.«
    »Schön dich kennenzulernen, Anna. Ich bin Tobias’ Mutter, du kannst mich gerne Nadine nennen.« Sie reichte dem Mädchen die Hand, und etwas verwirrt von der herzlichen Begrüßung nahm Anna die Hand entgegen.
    »Es passiert nicht oft, dass Tobias
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