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Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2

Titel: Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Autoren: PeP eBooks
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sie streng aus dem Gesicht gekämmt und im Nacken zusammengebunden. Alles an ihr ist Erwartung. Bebende Erwartung.
    Warum so feierlich?, sagt irgendetwas in Leonies Innerem. Irgend eine kleine, kalte, böse Stimme. Das ist doch erst der Anfang. Da sind ja noch zwei von diesen goldenen Zeichen zu suchen und zu finden. Und wer weiß, was mir dabei noch alles passiert. Mir, Leonie, und niemand anderem.
    Sie hat beide Hände um das Ding in der blauen Seide geschlungen. Nun streckt sie den rechten Arm aus und bietet Isabelle auf der Handfläche an, was sie mitgebracht hat. Dabei schaut sie ihr gerade in die Augen.
    Der große Moment.
    Die junge und die alte Hand. Die jungen und die alten Augen. Ihre Schwärze. Ihr Wissen. Blick in Blick.
    Ein paar Atemzüge lang geschieht gar nichts. Dann greift Isabelle zu, so hastig, als hätte sie Furcht, ihr würde es jemand wegnehmen, das Ding. Sie presst die Seide an ihre Brust, schließt die Lider. Dann stöhnt sie auf. Es ist, als würden die Farben im Raum fahl werden für einen Augenblick, als würde etwas hereinströmen. Isabelle taumelt. Beugt sich vor, als wenn ihr jemand in den Magen geschlagen hätte. Es geschieht mit ihr ... Sie sieht, was geschehen ist.
    »Feuer! Es brennt! Es brennt in der Stadt! Das Blut, Ewiger, das Blut! Er liegt auf der Straße! Nein! Nein! So sollte es nicht kommen!«
    Gaston springt auf, umfängt sie mit den Armen. Es ist klar, er hat darauf gewartet.
    Ich hätte es mir ausrechnen können, dass es geschieht.
    Schon einmal habe ich es miterlebt, dass Isabelle von einer ihrer furchtbaren Visionen heimgesucht wurde, in denen sie durch die Zeit wandern kann, in die Vergangenheit und in die Zukunft. Und als ich in meinen letzten Wochen in Berlin diesen Fluch am eigenen Leib erfahren habe, als mich ihre schreckliche Gabe ebenfalls ereilt hatte ... was hat es mir gebracht, dass ich die Dinge vorher wusste? Ändern konnte ich sie doch nicht.
    Isabelle durchleidet gerade mein eigenes Leiden. Sie hat es mir abgenommen in diesem Moment. Ich muss es nicht noch einmal durchleben, jetzt, wenn ich erzählen werde, erzählen muss, was geschehen ist. Ich habe Erbarmen mit ihr. Und ich bin ihr dankbar.
    Inzwischen hat Gaston sie zu einem der Kissenberge geführt,gibt ihr Wasser zu trinken. Der Anfall war heftig, aber kürzer als damals. Meine Geschichte wird ja auch kürzer ausfallen als gedacht.
    Isabelle erholt sich. Sie sieht mich an, mit dem Blick voller Wissen. Bevor sie in der Lage ist, ein Wort zu sagen, schlägt sie mit bebenden Fingern die blaue Seide auseinander und betrachtet das goldene Taw auf ihrem Handteller.
    Sicher geht es ihr jetzt so wie mir, als ich, zusammen mit Schlomo, den Buchstaben entdeckt hatte in dem alten verkramten Theatermagazin in der Schendelgasse, das nun ein Raub der Flammen geworden ist. Der sanfte warme Strom, der damals durch meine Adern rieselte, das Gefühl, etwas Lebendiges in Händen zu halten. (Jetzt, jetzt ist es für mich nur ein kaltes Stück Metall.)
    Sie beugt sich vor, zieht das Zeichen andächtig erst an ihre Lippen, legt dann die Stirn darauf. Dann sagt sie leise: »Meine arme Tochter. Was für ein schrecklicher Preis.«
    Noch immer stehe ich in der Mitte des Raums, wie bei der Übergabe des Buchstabens. Jetzt, wo sich Isabelle wieder gefasst hat, wendet Gaston seine Aufmerksamkeit mir zu. »Willst du dich zu uns setzen?«, sagt er, und es klingt fast scheu. »Fühlst du dich in der Lage, uns etwas zu erzählen?«
    Ich nicke. »Früher oder später muss ich es ja doch«, sage ich und zucke die Achseln. (Ich bin so leer, so ausgebrannt. Es ist alles gleich.) Ich registriere den Blick des alten Mannes – halb erschrocken, halb mitleidsvoll –, bevor ich mich neben den beiden auf den Kissen niederlasse.
    Gaston schenkt mir Wasser ein. (Sonst gab es hier auch Wein, heute nicht.) Das Wasser ist kühl und klar und lebendig und ich trinke in langen Zügen. Meine Kehle ist schon ausgedörrt, bevor ich überhaupt angefangen habe.
    »Es war zu lesen, dass es Unruhen gab in Berlin!«, sagt Gaston zögernd.
    »Unruhen? Ja, so kann man es nennen. Die Juden, die aus dem Osten kommen, sagen dazu Pogrom«, erwidere ich. »Aber vielleicht sollte ich von vorn anfangen.«
    Und so sitze ich denn zusammen mit den beiden alten Leuten, die beide aussehen, als wären sie kein Ehepaar, sondern Geschwister, und erzähle ihnen, was mir bei der Suche nach dem goldenen Ding zugestoßen ist, das Isabelle nun mit beiden Händen an ihre Brust
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