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Drei Seiten für ein Exposé

Drei Seiten für ein Exposé

Titel: Drei Seiten für ein Exposé
Autoren: Hans Peter Roentgen
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beginnen.
    Valcrish ist Lehrling bei der Priesterin Keddris. Eines Tags träumt sie von dem Mondpriester Vaylon, dem eine Hexe die Seele geraubt hat. Seitdem streift er ruhelos als Wolf durch das Land, immer auf der Flucht vor Jägern. Valcrishs Schicksal ist auf irgendeine Weise mit dem von Vaylon verbunden

    Auf irgendeine Weise? Ja, auf welche Weise denn? Was führt dazu, dass Valcrish den Traum ernst nimmt und sich aufmacht, ihn zu suchen und zu retten? Genau das wäre hier wichtig zu wissen. Mit „auf irgendeine Weise“ ist es nicht getan, das erweckt beim Leser den Eindruck, dass der Autor es nicht so genau weiß. Wenn der Autor es aber nicht weiß, wer sonst? Und warum eine Geschichte lesen, in der die Dinge „auf irgendeine Weise“ passieren? Wer Zufälle liebt, spielt Lotto, aber liest keine Romane.
    Hier gehört Butter bei die Fische.
    Doch was könnte das sein?
    Valcrishs Bruder wird vermisst. Das erfahren wir aber erst in der Mitte des Exposés. Und das Schicksal des Bruders ist mit dem von Vaylon verbunden. Das wäre nun wirklich ein Grund für Valcrish, nach Vaylon zu suchen. Versuchen wir’s mal:
    Valcrish ist Lehrling bei der Priesterin Keddris. Vor einigen Jahren hat sie ihren Zwillingsbruder verloren, der angeblich bei einer Jagd umkam. Doch die Leiche wurde nie gefunden. Eines Tags träumt Valcrish von dem Mondpriester Vaylon, dem eine Hexe die Seele geraubt hat. Seitdem streift er ruhelos als Wolf durch das Land, aber der Wolf träumt von Valcrishs Bruder. Er weiß, wo dieser gefangen gehalten wird
.
    Jetzt hätten wir ein klares Motiv für Valcrish, nach Vaylon zu suchen. Vaylons Seele wurde von der gleichen Hexe geraubt, die auch Valcrishs Bruder gefangen hält. Über ihn kann sie ihren Bruder finden. Also macht sie sich auf, Vaylon zu suchen.
    Vielleicht gibt es aber noch eine bessere Möglichkeit? Wann ist die erste Begegnung zwischen Valcrish und Vaylon?
    Als dieser gejagt wird.
    Was, wenn das der Beginn der Geschichte wäre? Valcrish rettet Vaylon vor den Jägern. Warum? Weil in der Umgebung des Heiligtums die Jagd verboten ist? Weil der Wolf Valcrishs Totemtier ist? Auch hier sollte es einen Grund geben.
    Und wieso kann ein Magierlehrling Jäger davon abhalten, ihrem Beruf nachzugehen und Wölfe zu jagen? Wie gelingt Valcrish dieses Kunststück? Und woher wissen die Jäger den Weg zum Bösen und dass dort Vaylons Seele gefangen gehalten wird?
    Vielleicht bringt der Wolf Valcrish zum Dank Nachricht von ihrem Bruder. Auch hier die Frage: Wie macht der Wolf das? Spricht er wie im Märchen? Erscheint er ihr im Traum? Auch diese Frage sollte im Exposé beantwortet werden. Autoren, deren Geschichten keine innere Logik haben, werden selten gelesen.
    Und ein kleiner Tipp für das Manuskript: Sicher keine schlechte Idee, wenn die Jäger nicht ohne weiteres von ihrem Opfer ablassen. Wenn sich Valcrish Mühe geben muss, gar in Gefahr gerät. Autoren sollten es ihren Figuren nie zu leicht machen, das ist langweilig.
Wann geht es wirklich los?
    In den meisten Krimis ist das einfach: wenn der erste Mord passiert. In anderen Geschichten gibt es eine Vorgeschichte. Casablanca beginnt damit, dass die ehemalige Freundin des Protagonisten Rick auftaucht. Doch der Film zeigt zunächst das Leben in Ricks Café mitten im zweiten Weltkrieg, die deutschen Offiziere, die Flüchtlinge und die Figur Rick. Dass Casablanca anders als ein Krimi nicht sofort beginnt, hat einen einfachen Grund. Wir alle haben Krimis gesehen, wissen, dass Kriminalbeamte Morde untersuchen. Wir müssen das nicht alles gesagt bekommen.
    Doch welcher Filmzuschauer war schon mal in Casablanca? Hier mussten der Hintergrund und die Figur des Rick erst einmal etabliert werden.
    Gehört das auch ins Exposé?
    Ja, es gehört dorthin. Ohne diesen Hintergrund und die Figur funktioniert die Geschichte nämlich nicht. Das heißt nicht, dass Sie alle Verwicklungen auch im Exposé aufzählen müssen. Wenn Sie einen Hintergrund haben und eine Figur, die erst einmal eingeführt wird, tun Sie das in einem Satz.
    Mitten im zweiten Weltkrieg betreibt Rick, ein ehemaliger Widerstandskämpfer, jetzt ein Zyniker, ein Café in Casablanca. Seine Gäste sind deutsche Offiziere, französische Kolonialbeamte und alle die Gestrandeten, die auf ein Visum für die USA hoffen
.
    Das reicht.
    Meine Geschichte hat doch einen ganz eigenen komplexen Hintergrund, ich muss doch erst meine Figur vorstellen, meine Welt, sagen Sie?
    Müssen Sie das wirklich? Die meisten
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