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Drei Kameraden

Drei Kameraden

Titel: Drei Kameraden
Autoren: Erich Maria Remarque
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Abend, und die Leute saßen im Freien und hatten Gläser mit dem gelben ungarischen Wein vor sich stehen, die Kellner liefen in ihren weißen Jacken hin und her, die Zigeuner spielten, nachher ging man durch die grüne Frühjahrsdämmerung müde nach Hause, und da lag Pat und lächelte und würde nie wieder aus diesem Zimmer herauskommen, nie wieder aus diesem Bette aufstehen.

     Dann, plötzlich, ging alles sehr schnell. Das Fleisch ihres Gesichtes schmolz. Die Backenknochen traten hervor, und an den Schläfen kam die Stirn durch. Die Arme waren dünn wie Kinderarme, die Rippen spannten sich unter der Haut, und das Fieber raste in immer neuen Stößen durch den schmalen Körper. Die Schwester brachte Sauerstoffballons, und der Arzt kam jede Stunde.
     Eines Nachmittags sank das Fieber unerklärlicherweise rasch. Pat wachte auf und sah mich lange an. »Gib mir einen Spiegel«, flüsterte sie dann.
     »Wozu willst du einen Spiegel?« sagte ich. »Ruh dich aus, Pat. Ich glaube, du bist jetzt durch. Du hast kein Fieber mehr.«
     »Nein«, flüsterte sie mit ihrer zerborstenen, verbrannten Stimme, »gib mir den Spiegel.«
     Ich ging um das Bett herum, nahm den Spiegel und ließ ihn fallen. Er zersprang. »Entschuldige«, sagte ich. »So was ungeschicktes. Fällt mir einfach aus der Hand und ist auch gleich in tausend Scherben.«
     »In meiner Tasche ist noch einer, Robby.«
     Es war ein kleiner Spiegel aus verchromtem Nickel. Ich wischte mit der Hand darüber, damit er etwas erblindete, und gab ihn Pat. Sie rieb ihn mühsam sauber und sah angestrengt hinein. »Du mußt abreisen, Liebling«, flüsterte sie dann.
     »Warum denn? Magst du mich nicht mehr?«
     »Du sollst mich nicht mehr sehen. Das bin ich nicht mehr.«
     Ich nahm ihr den Spiegel ab. »Diese Metalldinger taugen nichts, Pat. Sieh nur, wie ich darin ausschaue. Blaß und mager. Dabei bin ich doch braun und kräftig. Ganz wellig ist das Ding.«
     »Du sollst eine andere Erinnerung an mich behalten«, flüsterte sie. »Fahr weg, Liebling. Ich werde schon allein damit fertig.«
     Ich beruhigte sie. Sie verlangte den Spiegel wieder und ihre Tasche. Dann begann sie sich zu pudern, das arme, abgezehrte Gesicht, die zerrissenen Lippen, die schweren, braunen Höhlen unter den Augen. »Nur etwas, Liebling«, sagte sie und versuchte zu lächeln, »du sollst mich nicht
    häßlich sehen.«
     »Du kannst machen, was du willst«, sagte ich, »du wirst nie häßlich sein. Für mich bist du die schönste Frau, die ich je gesehen habe.«
     Ich nahm den Spiegel und die Puderdose fort und legte meine Hände vorsichtig um ihren Kopf. Nach einiger Zeit wurde sie unruhig.
     »Was ist, Pat?« fragte ich.
     »Es tickt so laut«, flüsterte sie.
     »Was? Die Uhr?«
     Sie nickte. »Es dröhnt so...«
     Ich machte die Uhr von meinem Handgelenk los.
     Sie blickte angstvoll auf den Sekundenzeiger. »Tu sie weg...«
     Ich nahm die Uhr und warf sie gegen die Wand. »So, jetzt tickt sie nicht mehr. Jetzt steht die Zeit still. Wir haben sie mitten durchgerissen. Nur wir beide sind noch da, nur wir beide, du und ich, und niemand sonst.«
     Sie sah mich an. Ihre Augen waren sehr groß. »Liebling...« flüsterte sie.
     Ich konnte ihren Blick nicht ertragen. Er kam weit her und ging durch mich hindurch, irgendwohin. »Alter Bursche«, murmelte ich, »mein geliebter, tapferer, alter Bursche.«
     Sie starb in der letzten Stunde der Nacht, bevor es Morgen wurde. Sie starb schwer und qualvoll, und niemand konnte ihr helfen. Sie hielt meine Hand fest, aber sie wußte nicht mehr, daß ich bei ihr war. Irgendwann sagte jemand: »Sie ist tot...«
     »Nein«, erwiderte ich, »sie ist noch nicht tot. Sie hält
    meine Hand noch fest...«
     Licht. Unerträgliches, grelles Licht. Menschen. Der Arzt. Ich öffnete langsam meine Hand. Pats Hand fiel herunter. Blut. Ein verzerrtes, ersticktes Gesicht. Qualvolle, starre Augen. Braunes, seidiges Haar.
     »Pat«, sagte ich. »Pat!«
     Und zum ersten Male antwortete sie mir nicht.

    »Möchte allein sein«, sagte ich.
     »Soll nicht erst...« fragte jemand. »Nein«, sagte ich. »'rausgehen. Nicht anfassen.« Ich habe ihr dann das Blut abgewaschen. Ich war aus Holz. Ich habe ihr das Haar gekämmt. Sie wurde kalt. Ich habe sie in mein Bett gelegt und die Decken über sie gedeckt. Ich habe bei ihr gesessen, und ich konnte nichts denken. Ich habe auf dem Stuhl gesessen und sie angestarrt. Der Hund kam herein und setzte sich zu mir. Ich habe
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