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Dracula, my love

Dracula, my love

Titel: Dracula, my love
Autoren: Syrie James
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weiterhin von Zeit zu Zeit nachtwandelte. Ich erwachte jedes Mal, wenn sie im Zimmer herumging und energisch und entschlossen den Weg nach draußen suchte. Nun band ich mir beim Schlafen den Schlüssel ans Handgelenk. Trotz alledem genossen wir unsere gemeinsamen Tage, die wir damit verbrachten, durch die Stadt oder zur Ostklippe hinauf zu spazieren oder lange Wanderungen zu den zauberhaften kleinen Dörfern der Umgebung zu machen. Obwohl wir immer darauf achteten, unsere Hüte zu tragen, merkte Frau Westenra doch zufrieden an, dass sich auf Lucys einst bleichen Wangen nun ein rosiger Hauch zeigte.
    Am 6. August schlug das Wetter um. Die Sonne war hinter dichten Wolken verschwunden, das Meer toste brausend über die flachen Sandbänke, und die Welt war in einen tiefen grauen Nebel gehüllt.
    „Da zieht ein Sturm herauf, meine Liebe, und zwar ein ganz gewaltiger, lassen Sie es sich sagen“, meinte der alte Herr Swales, als er sich an jenem Nachmittag auf dem Kirchhof zu mir gesellte. Er war ein reizender alter Mann, aber an jenem Tage schien er in seinen ausschweifenden Erzählungen völlig vom Thema Tod ergriffen zu sein. Während er aufs Meer hinausstarrte, verkündete er in unheilvollem Ton: „Vielleicht ist er in jenem Wind dort über dem Meer, der Verlust und Untergang mit sich herweht, und schreckliche Sorgen und traurige Herzen ... Sehen Sie nur! Da ist etwas in diesem Wind und in der Luft, das sieht aus und riecht und schmeckt wie der Tod!“
    Ich war fassungslos ob seiner Worte. Obwohl ich wusste, dass er es nicht böse meinte, war ich doch froh, als er endlich ging. Ich schrieb noch eine Weile in mein Tagebuch und schaute zu, wie die Fischerboote eilig in den sicheren Hafen einliefen. Schon bald wurde mein Augenmerk auf ein Schiff gelenkt, das draußen auf dem Meer zu sehen war. Es war ein recht großes Schiff, das sich unter voller Besegelung in westlicher Richtung auf unsere Küste zubewegte. Doch es schlingerte merkwürdig hin und her, als wechsele es bei jeder Windbö die Richtung.
    Als der Küstenwart mit seinem Fernrohr unter dem Arm vorbeigegangen kam, blieb er stehen, um sich mit mir zu unterhalten, während er gleichzeitig unverwandt auf dieses Schiff schaute. „Dem Aussehen nach ist es russisch“, merkte er an, „aber es schaukelt so eigentümlich herum, als ob die Mannschaft überhaupt keinen Plan hätte. Sie sehen wohl den Sturm kommen, können aber nicht recht entscheiden, ob sie nach Norden ins offene Meer sollten oder bei uns festmachen.“
    Der nächste Tag war wieder kalt und grau, und der merkwürdige Schoner war immer noch da vor der Küste, rollte mit schlappen Segeln sanft auf der welligen See. An jenem Spätnachmittag kehrten Lucy und ich nach dem Tee noch einmal oben auf die Klippe zurück, um uns zu einer größeren Menschenansammlung zu gesellen, die sich dort eingefunden hatte, um neugierig auf dieses Schiff zu starren und den herannahenden Sonnenuntergang zu bewundern. Es war ein herrlicher Anblick, mit hoch aufgetürmten Wolken in jeder Farbe, Feuerrot, Purpurn, Violett, Rosa, Grün, Gelb, sodass man es gar nicht glauben mochte, dass uns schlimmes Wetter bevorstehen sollte.
    Am Abend jedoch wurde die Luft geradezu beängstigend still. Um Mitternacht, als Lucy und ich sicher in unseren Betten lagen, war vom Meer her ein leises, dumpfes Grollen zu hören, und der Sturm brach plötzlich und mit Macht los. Wütend peitschte der Regen vom Himmel, klatschte laut auf das Dach, gegen die Fensterscheiben und die Schornsteine. Jeder Donnerschlag klang wie eine ferne Kanone und ließ mich zusammenschrecken. Ich war zu aufgeregt, um wieder einschlafen zu können, und manche Stunde lauschte ich, wie Lucy sich in ihrem Bett hin und her wälzte. Endlich fiel ich in einen unruhigen Schlaf und hatte einen seltsamen Traum.
    Ich neige dazu, sehr bildhaft zu träumen, seit meiner frühesten Kindheit jede Nacht und die ganze Nacht hindurch. Beim Erwachen kann ich mich an meinen Traum bis in die kleinste Einzelheit erinnern, und ich benötige stets einige Minuten, um mir darüber klar zu werden, dass es nicht die Wirklichkeit war. Manches Mal sind meine Träume alberne, süße und verworrene Hirngespinste, in die ich verschiedene kleine Abschnitte des Tages verwebe. Manchmal sind es Albträume, die meine Ängste auf fürchterliche Weise zum Ausdruck bringen. Gelegentlich stellen sie sich auch als Vorzeichen heraus, die mir bedeuten, was die Zukunft für mich bereithält.
    In jener Nacht träumte
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