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Drachenelfen

Drachenelfen

Titel: Drachenelfen
Autoren: Bernhard Hennen
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rissig sein. Sein Mund war eine Wüste. Verloren blickte der Elf zum Himmel. Es war Nacht. Die wievielte Nacht? Der Rausch war vorüber. Er hatte keinen Trost gefunden, und die Erlösung des Vergessens war von ihm genommen. Seine Flucht war nun zu Ende. Er war wieder ganz Herr seiner Erinnerung.
    Benommen betrachtete er den großen Stein. Er hatte ihn tagelang gesucht – einen Granitbrocken, der einsam zwischen bemoosten Bäumen lag. Als er ihn zum ersten Mal berührt hatte, hatte er die Spannung in dem Stein gespürt. Wasser und Eis waren tief in ihn eingedrungen. Hatten feine Spalten geweitet.
    Der Elf lachte bitter. Er hatte sich in dem Stein wiedererkannt. Seinen Seelenzustand. Seine Spannung. Er war ein lausiger Bildhauer, auch wenn er mit großer Leidenschaft arbeitete. Andere, die
sich so wie er für diesen Weg entschieden hatten, sprachen gern davon, dass sie eine Struktur im Stein fühlen konnten. Dass sie die Skulpturen nur befreiten. Dass sie schon immer da gewesen seien.
    Bei ihm war es anders. Er hatte dem Stein die Form aufgezwungen, hatte sich an ihm abgearbeitet. Stunde um Stunde, Tag um Tag. Das Ergebnis war eine Form zwischen Flamme und Frauenleib. Dem Leib der Frau, die er liebte. Seinem Abgrund, vor dem er nun stand.
    Ãœberall auf der Skulptur waren Blutspuren. Dunkle, geronnene Flecken, die das Licht der Sterne verschluckten. Die steinerne junge Elfe wand sich. Tanzte sie? Stand sie in Flammen? War es eine Flamme, die ihm vorgaukelte, eine Frau zu sein? Alles zugleich?
    Gonvalon seufzte. Nein, er war kein Künstler. Was war er? Man hatte ihn zum Meister in der Weißen Halle gemacht. Ihm dieses Dasein aufgezwungen, so wie er den Stein in seine neue Form gezwungen hatte. Er war ein schlechter Lehrer. Nein, schlimmer, er war ein Fluch für seine Schüler. Sie starben. Alle … Seit er vor mehr als dreihundert Jahren begonnen hatte. Er konnte sie nicht retten, was immer er auch versuchte. Er war kein Künstler und kein Lehrer … Wieder betrachtete er seine Hände. All das Blut. Blut zu vergießen, das war seine einzige Begabung. Darin war er wirklich gut. Darum wählte er immer wieder ihn – und Gonvalon hatte ihn noch nie enttäuscht.
    Sein Atem ging jetzt wieder ruhiger. Er hörte Wasser fließen. Das übermütige Murmeln eines Bergquells. Wasser! Noch immer benommen, tastete er sich durch den Wald. Ein Schattenlabyrinth, durchdrungen von Bahnen blassen Sternenlichts. Der warme, modrige Boden atmete Nebel. Schwerelos floss der Dunst um seine Knöchel, weiß wie ein Leichentuch.
    Am Bach kniete Gonvalon nieder und hielt seine Hände in das Wasser. Kurzer, kristallener Schmerz verlor sich in langsam betäubender Kälte. Er verharrte viel länger, als nötig war, um den Steinstaub aus den Wunden zu waschen. Endlich trank er, peitschte mit beiden Händen Wasser in sein Gesicht, wieder und
wieder. Stieg nackt, wie er war, in den Bach und wusch sich. Zu lange … Suchte jeden Vorwand zu verweilen, bis ihm vor Kälte die Zähne klapperten. Wenn er nicht zurückkehrte, würde er ihn holen. Der Elf wusste das. Er würde ihm nicht gestatten, ihn zu enttäuschen. Seine Herrschaft und die seiner Brüder duldete keinen Widerspruch. Ihnen zu dienen hatten die Alben die Elfen erschaffen. Sie alle waren den Himmelsschlangen untertan.
    Gonvalon stieg aus dem Bach und kehrte zur Lichtung zurück. Erschöpft ließ er sich auf einer dicken Wurzel nieder. Die Lichtung lag ein wenig höher, der Nebel hatte sie noch nicht erreicht. Sie war mit Steinsplittern übersät. Überall lagen seine Werkzeuge verteilt. Das Beizeisen, der scharfe Flachmeißel, mit dem er dem Granitblock die ersten Kanten der Skulptur abgerungen hatte. Die anderen Schlag- und Spitzeisen. Die Fäustel – die verschiedenen Hämmer –, deren Hiebe die Meißel und Eisen den Granit schälen ließen, bis endlich die Form freigelegt war, die seinem Seelenzustand entsprach.
    Wie ähnlich die Eisen den Dolchen und Schwertern waren, die er sonst nutzte …
    Gonvalon ging durch den Steinschutt zu dem flachen Fels, auf dem die dünne Jadescheibe lag. Die Botschaft, die sein Leben beenden würde. Ein einzelnes verschlungenes Symbol war in die tiefgrüne Jade geschnitten. So klar und scharfkantig, dass es selbst seine geschundenen Finger noch zu ertasten vermochten. Es war das Zeichen des Goldenen, unverwechselbar in der
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