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Donovans Gehirn

Donovans Gehirn

Titel: Donovans Gehirn
Autoren: Curd Siodmak
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Ich atmete, bewegte mich! Wie die Ebbe von einem steilen Ufer zurückweicht, so floß Donovans Persönlichkeit weg, und ich, Patrick Cory, kehrte in meinen eigenen Körper zurück!
    Ich ließ ihre Kehle los. Als sich der Griff lockerte, wurde sie nicht ohnmächtig. Ich hielt sie in meinen Armen, blickte in ihr armes, blasses Gesicht. Ihre Augen, noch fest und trotzig, trafen die meinen, und in ihren Tiefen sah ich eine Angst, die allmählich verschwand.
    Sie mußte mich sofort erkannt haben, denn sie stöhnte leise meinen Namen und schlang die Arme um mich.
    Ich hob sie auf und küßte sie. Ich stammelte, ohne zu wissen, was ich sagte. Ich wußte nur eins: Ich war frei!
    Wir sanken zusammen auf den staubigen Boden, beide zu Tode erschöpft. Sie hielt mich ganz fest und drückte den Kopf an meine Brust, als lausche sie dem Schlag meines Herzens.
    Sprechen konnten wir nicht.
    Langsam kehrte meine Besinnung wieder, ich hob sie auf und stellte sie auf die Füße: »Schnell!« sagte ich angstvoll. »Nimm den Wagen und fahre fort, ehe er wiederkehrt!«
    Sie sah mir in die Augen, und in einer Eingebung ihrer Hellsichtigkeit sagte sie lächelnd: »Er wird niemals Wiederkehren!«
    Ich fuhr auf die Landstraße. Während Dutzende von Wagen vorbeikamen, standen wir still, zu erschöpft, um uns zu bewegen; wir warteten auf die Rückkehr unserer Kraft.
    An der nächsten Tankstelle meldete ich ein Ferngespräch mit Schratt an, nach Washington Junction.
    Ich hörte das Telefon lange anschlagen, aber Schratt antwortete nicht.
     

Zwanzigster Mai
     
    Vor mir liegen ein paar handbeschriebene Blätter – ein Bericht Schratts. Janice brachte ihn heute mit. Sie hatte ihn mir nicht vorher geben wollen, aber jetzt, meint sie, kann ich ihn lesen.
    Wenn ich aus meinem Zimmer ins Freie sehe – Janice hat das Bett ans Fenster geschoben – fällt mein Blick in den Garten des Phoenix-Krankenhauses mit seinen großen Palmen. Genesende wandern auf den schmalen Gartenwegen. Manche sitzen in der Sonne, manche liegen in ihrem Rollstuhl.
    In ein paar Tagen werde ich auch dort unten sein.
    Es macht mir Schwierigkeiten, Schratts Bericht zu lesen. Seine Schrift ist hieroglyphisch, alles in entsetzlicher Hast niedergekritzelt. Manchmal vergaß er das Datum.
    Janice bot mir an, es umzuschreiben, aber ich möchte es in Schratts eigener Schrift lesen.
    Schratt schrieb:
     

Zweiundzwanzigster November
     
    Die Fruchtlosigkeit psychologischer Berichte über geistige Reaktionen rührt von dem Versuch her, alles in Begriffen des Bewußtseins zu beschreiben. Donovans Handeln kann nicht auf diesem Wege beurteilt werden. Seine geistige Sphäre ist nicht von gleicher Ausdehnung wie die Sphäre seiner Bewußtheit. Sein Gedankenprozeß ist eine unvollkommene, zusammenhanglose Reihenfolge von Gefühlen, die alle einem abstrakten Ziel zustreben.
    Er ist irrsinnig, an normalen Begriffen gemessen, und muß als unheilbar Irrer behandelt werden. Patricks Methode zur Erforschung dieses Geistes, der nicht ›vernünftig‹ ist, kann nur im Unheil enden.
    Die Grenzlinie zwischen Wahnsinn und Genie ist nicht präzis zu definieren, aber mein Standpunkt ist: Genau an dem Punkt, wo Donovans Hirn anfing, Patricks Hirn zu beeinflussen, hat auch Patrick diese Grenzlinie überschritten. Er kann nicht mehr als normaler Mensch angesehen werden. Ein guter Wissenschaftler hätte sich seiner eigenen Beschränkung bewußt sein müssen und durfte keine Übergriffe ins Unerforschliche machen. Durch seine scheinbare Genialität betrogen, kann Patrick die Tatsachen nicht mehr klar sehen.
    Zugegeben, daß die Ideen die einzige Realität beim Experimentieren sind, muß ihre praktische Anwendung dennoch beschränkt werden.
    Ich beobachte und erwäge dieses gefährliche Experiment, und ich sehe klar, daß Donovans Hirn nichts von Wert mehr hinzugefügt worden ist. Nur seine schlechten Begriffe, seine kriminellen Instinkte, seine nicht wünschenswerten Reflexe sind gestärkt worden, bis sie ungeheuerliche Proportionen angenommen haben.
    Seit Jahren kenne ich die latenten Gefahren in Patricks ungestümem Drang nach gefährlichen Experimenten. Nachdem ich ihn so oft gewarnt habe, bleibt mir nur eins übrig: Ich muß das Weiterschreiten dieses Experimentes unterbrechen, ehe es zu spät ist.
    Patricks Intelligenz ist der meinen überlegen. Ich kann nicht mit Argumenten und Gründen gegen ihn kämpfen. Um ihm Einhalt zu gebieten, muß ich ihn betrügen.
    Der Augenblick meiner Entscheidung war da,
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