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Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens

Titel: Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens
Autoren: Carlos Castaneda
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Beschreibung dessen, was ich im anthropologischen Feld gemacht habe, könnte man sagen, daß der yaqui-indianische Zauberer Don Juan Malus mich in die Erkenntnisweise - die Kognition - der Schamanen im alten Mexiko einführte. Unter Kognition sind dabei solche Prozesse zu verstehen, die das Bewußtsein im alltäglichen Leben ausmachen, Prozesse wie Erinnerung, Erfahrung, Wahrnehmung und der kundige Gebrauch einer bestimmten Syntax. Dieser Kognitionsbegriff war damals mein beschwerlichster Stolperstein Für mich als einen Menschen westlicher Bildung war es unvorstellbar, daß Kognition, wie im philosophischen Diskurs unserer Zeit definiert, etwas anderes sei als ein einheitlicher, die gesamte Menschheit umfassender Sachverhalt. Wohl ist der Mensch des Westens bereit, kulturelle Unterschiede anzuerkennen, die für ungewohnte Arten der Beschreibung von Phänomenen verantwortlich sind, aber kulturelle Unterschiede konnten doch unmöglich erklären, weshalb Prozesse wie Erinnerung, Erfahrung, Wahrnehmung und kundiger Sprachgebrauch etwas anderes sein sollten als eben die uns bekannten Prozesse. Mit anderen Worten, für den Menschen der westlichen Welt gibt es Kognition nur als Summe allgemeingültiger Prozesse. Für die Schamanen aus Don Juans Traditionslinie aber gibt es die Kognition des modernen Menschen, und es gibt die Kognition der Schamanen im alten Mexiko. Don Juan betrachtete diese beiden Arten von Kognition als zwei in sich geschlossene Welten des Alltagslebens, die ihrem Wesen nach ganz verschieden seien. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, und ohne daß ich es merkte, veränderte sich meine Aufgabe geheimnisvdlerweise vom bloßen Sammeln anthropologischer Daten zur Verinnerlichung der neuen kognitiven Prozesse in der Welt der Schamanen.
    Ein wirkliches Internalisieren solcher Prinzipien geht mit einer Transfcrmaticn einher, mit einer anderen Reaktionsweise gegenüber der alltäglichen Welt. Die Schamanen haben herausgefunden, daß der erste Anstoß zu einer solchen Wandlung immer als intellektuelle Hinwendung zu etwas geschieht, das lediglich eine begriffliche Vorstellung zu sein scheint, aber unerwartet mächtige Unterströmungen hat. Don Juan selbst beschrieb dies am besten, wenn er sagte: »Die alltägliche Welt darf nie als etwas Persönliches aufgefaßt werden, das Macht über uns ausübt, das uns schaffen oder zerstören könnte, denn das Schlachtfeld des Menschen liegt nicht in seiner Auseinandersetzung mit der ihn umgebenden Welt. Sein Schlachtfeld liegt jenseits des Horizonts, in einer für den normalen Menschen undenkbaren Region, in der Region, wo der Mensch aufhört, ein Mensch zu sein.«
    Zur Erläuterung dessen fügte er hinzu, es sei ein energetischer Imperativ für den Menschen, zu erkennen, daß es einzig und allein auf seine Begegnung mit der Unendlichkeit ankommt Den Begriff Unendlichkeit vermochte Don Juan nicht auf eine geläufigere Beschreibung zu reduzieren. Der Sachverhalt, sagte er, sei energetisch irreduzibel. Etwas, das man nicht personifizieren oder auch nur umschreiben könne, außer in so vagen Begriffen wie Unendlichkeit, lo infnito.
    Damals wußte ich nicht, daß Don Juan mir nicht nur eine reizvolle intellektuelle Beschreibung vortrug; vielmehr bezeichnete er das, was er beschrieb, als eine energetische Tatsache. Energetische Fakten waren für ihn Schlußfolgerungen, zu denen er und die anderen Schamanen seiner Linie gelangten, wenn sie sich einer Funktion bedienten, die sie als Sehen bezeichneten: das direkte Wahrnehmen von Energie, wie sie im Universum fließt. Die Fähigkeit, Energie auf diese Weise wahrzunehmen, ist einer der Kulminationspunkte des Schamanismus.
    Die Aufgabe, mich in die Kognition der Schamanen im alten Mexiko einzuführen, geschah, wie Don Juan mir versicherte, auf die traditionelle Art und Weise; das heißt, daß alles, was er mit mir machte, mit allen Schamanen-Schülern im Lauf der Jahrhunderte geschehen war. Die Internalisierung der Prozesse eines anderen kognitiven Systems begann stets damit, daß die ganze Aufmerksamkeit des Adepten auf die Erkenntnis gelenkt wurde, daß wir Lebewesen unterwegs zum Tode sind. Don Juan und die anderen Schamanen seiner Linie waren überzeugt, daß ein gründliches Erkennen dieses energetischen Faktums, dieser irreduziblen Wahrheit, schließlich zur Anerkennung der neuen Art von Kognition führen müsse.
    Was Schamanen wie Don Juan Matus letzten Endes für ihre Schüler anstrebten, war eine Einsicht, die in all ihrer
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