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Dollbohrer!

Dollbohrer!

Titel: Dollbohrer!
Autoren: Hendrik Nachtsheim
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auch gerade«, scherzte Jan und fing an lesen.
    Nach gut zehn Minuten hielt er das erste Mal inne, um vorsichtig über das Buch zu schauen und zu prüfen, ob die beiden schon eingeschlafen waren. Doch das Gegenteil war der Fall! Statt friedlich zu träumen, saßen beide senkrecht im Bett, zitternd in ihre Kopfkissen beißend, während ihnen die Tränen aus ihren aufgerissenen Augen liefen.
    »Mein Gott, was hab ich denn vorgelesen?«, murmelte Jan. »Pu der Bär hat ein bisschen Honig aus dem Bienenstock geklaut … das ist doch kein ›Stephen King‹ …«
    Er las ein paar weitere Seiten vor, doch die Kinder bissen immer noch weinend in ihre mittlerweile aufgeweichten Kissen. Bis er auf einmal bei genauerem Hinsehen begriff, dass die nicht vor Angst zitterten, sondern vor Lachen! Das waren Lachtränen, die da ihre kleinen Wangen runterliefen.
    »Was ist denn an der Geschichte so lustig?«, fragte Jan.
    »Na, du!«, antwortete das Mädchen.
    Und der Junge ergänzte: »Die Mama liest schon scheiße, aber du bist echt die Krönung!«
    Was für eine Demütigung! Was für eine Kränkung! Am liebsten wäre er einfach grußlos aus dem Kinderzimmer gegangen, um sich schnellstmöglich auf den Heimweg zu machen.
    Stattdessen fragte er: »Soll ich trotzdem noch zu Ende lesen?«, was die Kinder begeistert bejahten. Also las er zu Ende. Wobei er den eigentlichen Schluss der Geschichte leicht änderte. Nämlich, dass eine Biene den Bären Pu in die Zunge gestochen hätte und der daraufhin jämmerlich erstickt sei! Worauf die Kinder dann auch nicht mehr lachten.
    Gut, Kontakt zur Familie hatte er seit damals nicht mehr, aber das jedenfalls war Schlüsselerlebnis Nummer eins.
    Nummer zwei folgte nur wenige Wochen später auf dem Bürgeramt. Wo er einen neuen Personalausweis hatte beantragen wollen. Unmittelbar nach dem Betreten des Raumes machte ihm der ältere Herr hinter dem Schalter klar, dass es ein kleines Problem gebe.
    »Hörn Sie, junger Mann, ich bin stark weitsichtisch … hab aber mei Brill deheim vergesse. Des heißt, ich kann nix lese! Deswesche müsste Sie mir die Daten von Ihrem alten Perso vorlese, dann tipp ich des in de Computer. Tippe kann ich ja blind, gell?«
    »Kein Problem«, antwortete Jan freundlich, »das mache ich doch gern!«
    Er war noch nicht bei der Postleitzahl, da lag der Alte auch schon von Lachkrämpfen geschüttelt, nach Luft japsend auf dem Tisch, die Stirn auf die Tastatur seines Computers hämmernd, und gleichzeitig zum Hörer seines Telefons greifend. Nur ein paar Minuten später war die Passstelle voller Rathauskollegen, die sich, während er noch mal und noch mal alle Daten vorlesen musste, tränenüberströmt in den Armen lagen.
    Als es Jan langsam zu viel wurde, rief er: »Ich hab jetzt meinen Ausweis zwanzig-, fünfundzwanzigmal vorgelesen, ich will nicht mehr!«
    Darauf wühlten sie in ihren Taschen, gaben ihm ihre Ausweise, Reisepässe, Führerscheine, damit er Material für eine Zugabe hatte!
    Zwei Tage später rief der Alte vom Passamt bei ihm zu Hause an und fragte, wann er denn genau seinen neuen Ausweis abholen wolle.
    »Warum wollen Sie das denn so genau wissen?«, fragte Jan zurück.
    »Ei, weschem Vorverkauf!«
    Ja, diese beiden Erlebnisse damals waren eigentlich klare Zeichen gewesen, das mit dem Vorlesen besser zu lassen. Was er blöderweise irgendwie vergessen hatte. Oder war es seine Eitelkeit, die ihn das alles einfach hatte verdrängen lassen, als ihn dieses hohe Tier vom DFB angerufen und gefragt hatte. Es sei das alles entscheidende Qualifikationsspiel, dazu auch noch gegen England, das Stadion sei schon seit Monaten ausverkauft, und da würde ihnen ein so populärer Mann wie er als Gaststadionsprecher gut zu Gesicht stehen! Außerdem wäre es kein großes Ding. Der eigentliche Sprecher würde den ganzen Anfang machen, ihn dann hochoffiziell begrüßen und ihm dann das Vorlesen der Mannschaftsaufstellung überlassen. Und ausnahmsweise, weil er ja so beliebt beim Publikum sei und weil ihn die meisten ja aus dem Fernsehen kennen, würde man nicht nur seine Stimme dabei hören, sondern diesen seinen Part per Kamera auch auf den riesigen Videowürfel übertragen. Und natürlich auch in die Wohnzimmer der erwarteten rund dreißig Millionen Fernsehzuschauer. Wie gesagt, kein großes Ding!
    »Midder Nummem … mider Nummu … Mid de Numme Einz … Mann … Manno …
    Manni … Mannu Neuo …!
    Die Sprecherkabine, hier hoch oben auf der Haupttribüne des Stadions, verwandelte
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