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Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1
Autoren: Unknown
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Vielleicht halten Sie es für ziemlich unwahrscheinlich, daß ein Junge, der in ein paar Monaten schon zur Wahl gehen durfte, binnen einer Viertelstunde dem Zauber einer anonymen alten Rostlaube rettungslos verfallen konnte. Ich selbst hatte einige Mühe, es zu glauben.
    Nur Roland D. LeBay schien das für eine Selbstverständlichkeit zu halten, und ich vermute, das lag an seinem Alter.
    Mit siebzig weiß man wohl, daß es nichts gibt, was unmöglich wäre auf dieser Welt. Erst später kam mir der Gedanke, daß seine Überzeugung, er habe einen todsicheren Käufer für seinen Schlitten gefunden, auch andere Ursachen haben konnte. Egal, welche Gründe mitspielten, eines stand fest: Falls jemals ein Tropfen Milch menschlicher Nächstenliebe durch seine Adern geflossen sein sollte, so war sie schon vor vielen Jahren zu saurer Sahne geronnen.
    »Ich muß mindestens zehn Prozent als Anzahlung haben«, sagte LeBay. Der Fisch lag auf dem Trockenen und kam nun in den Kescher. »Wenn ich zehn Prozent bekomme, reservier’
    ich dir den Wagen vierundzwanzig Stunden.«
    »Dennis«, sagte Arnie, »kannst du mir bis morgen neun Piepen leihen?«
    Ich hatte zwölf Dollar in meiner Brieftasche und nichts Besonderes vor. Wenn man jeden Tag Sand auf Schotter-steine schaufeln und Gräben für Kanalisationsröhren aushe-ben muß, dann ist das eine fantastische Vorbereitung für die Footballsaison, aber verheerend für die Pflege gesellschaftli-cher Beziehungen. Selbst die sonst so schwungvollen Attak-ken gegen die wohlgerundeten körperlichen Bastionen meiner Freundin, der Fähnchenschwingerin im Jubelchor der Footballmannschaft, waren in letzter Zeit ziemlich lahm gewesen, was sie gar nicht an mir kannte. Ich war reich, aber einsam.
    »Komm mal zu mir rüber«, sagte ich. »Wir wollen sehen, was sich machen läßt.«
    LeBays Stirn umwölkte sich; aber er konnte mein Mitsprache-recht nicht mehr verhindern. Der Handel drohte zu platzen, wenn ich Arnie keine Finanzspritze aus meinem Portemonnaie gab. Seine strähnigen, grauen Haare bewegten sich in der lauen Brise wie Polypenarme, während er die rechte Hand wieder besitzergreifend auf die Motorhaube des Plymouth legte.
    Wir zogen uns wieder auf den Bürgersteig zurück und gingen zu meinem Wagen, einem 75’ er Duster, der am Bordsteinrand parkte. Ich legte Arnie den Arm um die Schultern. Dabei fielen mir wieder, weiß der Kuckuck warum, die verregneten Herbsttage ein, die wir gemeinsam in seinem Zimmer verbracht hatten - vor einem uralten Schwarz-Weiß-Gerät, über dessen Mattscheibe Mickey-Mouse-FUme flimmerten, während wir mit alten Filzstiften, die Arnie in einer verbeulten Kaffeekanne aufbewahrte, Zeichenvorlagen ausmalten. Erinnerungen, die mich jetzt traurig stimmten und mir sogar ein wenig Angst machten. Es gibt Tage, wo es mir so vorkommt, als wäre man mit sechs im optimalen Alter, und deshalb dauerte dieser Zeitabschnitt in Wirklichkeit auch nur 7,2 Sekunden.
    »Hast du so viel Geld dabei, Dennis? Kannst du es mir vorstrecken? Du bekommst es morgen wieder.«
    »Ja, ich könnte es dir vorschießen«, sagte ich. »Aber denk doch erst mal nach, ehe du die Chaise kaufst! Der alte Furz ist hundertprozentig erwerbsunfähig, kapiert? Er bekommt ‘ne dicke Invalidenrente und ist nicht auf dein Geld angewiesen, und du bist keine Wohlfahrtseinrichtung.«
    »Ich versteh dich nicht. Wovon redest du überhaupt?«
    »Er haut dich übers Ohr, Arnie. Er beschwindelt dich aus purem sadistischen Vergnügen. Wenn er die Karre an Darnell verscheuern würde, bekäme er höchstens fünfzig Dollar für Ersatzteile. Die Karre ist ein Haufen Scheiße.«
    »Nein, nein, das stimmt nicht.« Ohne diese Pickel im Gesicht hätte mein Freund Arnie wie ein ganz gewöhnlicher Durch-schnittsmensch ausgesehen. Aber Gott gibt jedem von uns wenigstens eine gute Eigenschaft mit auf den Lebensweg, denke ich, und bei Arnie waren es die Augen. Hinter den Brillengläsern, von denen sie in der Regel verdeckt wurden, zeigten sie ein feines und intelligentes Grau, das Grau des Himmels an einem bewölkten Herbsttag. Und sie konnten fast unangenehm scharf und bohrend werden, wenn sie etwas beobachteten, was sie interessierte. Aber jetzt wirkten sie entrückt und traumverloren.
    »Der Wagen ist kein Haufen Scheiße, Dennis. Ganz und gar nicht.«
    Das war der Moment, wo es mir dämmerte, daß dies mehr war als nur ein spontaner Entschluß, sich einen fahrbaren Untersatz zuzulegen. Bisher hatte er nicht einmal Interesse
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