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Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1
Autoren: Unknown
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seinen Eltern, was er getan hatte, zeigte ihnen die Quittung, und beide gingen in die Luft wie Raketen.
    Nun müssen Sie wissen, daß beide Eltern so richtige Pauker-typen waren. Ihr Lebensinhalt bestand darin, Gutes zu tun - zu protestieren. Sie hatten in den frühen 60er Jahren für die Integration protestiert, anschließend gegen den Vietnam-Krieg und dann, als dieser zu Ende war, gegen Nixon, dann für das Rassengleichgewicht in den Schulen (sie konnten das Protokoll des Alan-Bakke-Prozesses auswendig herbeten, bis man dar-
    über einschlief), dann gegen die Brutalität der Polizei und schließlich gegen die Gewalt der Eltern. Sie waren beide ganz leidenschaftliche Redner - redeten alles in Grund und Boden oder an die Wand. Ein Stichwort genügte, und sie redeten die ganze Nacht über das Raumfahrtprogramm, gestalteten ein Hearing über die IRA oder ein Seminar über Alternativen für fossile Brennstoffe. Sie hatten gott-weiß-wieviele heiße Eisen angefaßt - die Vergewaltigung in der Ehe, die Drogen an den Schulen, die Problemkinder aus guten Elternhäusern und natürlich auch die Telefonseelsorge, bei der Selbstmordkandidaten anrufen und einer sympathischen Stimme lauschen können, die ihnen sagt, nein, so was soll man nicht tun, denn schließlich hat man ja eine soziale Verpflichtung auf dem Raumschiff Erde zu erfüllen. Nach zwanzig oder dreißig Jahren Vorlesungen an der Universität genügt wohl schon ein Klingelzeichen, daß sich die Stimmbänder ganz automatisch in Bewegung setzen wie beim Pawlowschen Hund die Speichel-drüsen.
    Regina (sie hatten sich beide ausbedungen, daß ich sie nur mit ihren Vornamen anreden sollte) war fünfundvierzig, eine etwas kühle und vornehme Schönheit - sie brachte es fertig, sogar in ihren Bluejeans, die sie die meiste Zeit trug, vornehm auszusehen. Ihr Fachgebiet war Englisch, aber wenn man an einem College unterrichtet, reicht das niemals aus. Es wäre genau so, als würde man »Amerika« sagen, wenn man danach gefragt wird, wo man herstammt. Deshalb hatte sie sich auf ihrem Fachgebiet so sehr spezialisiert und kondensiert wie ein Leuchtpunkt auf einem Radarschirm. Sie hielt Vorlesungen über altenglische Dichter und hatte ihre Diplomarbeit über Robert Herrick geschrieben.
    Michael war im historischen Fach tätig. Er sah genau so melancholisch und trübsinnig aus, wie die Musik klang, die er auf seinem Plattenspieler laufen ließ, obwohl Trübsinn und Melancholie eigentlich nicht zu seinem seelischen Make-up gehörten. Manchmal erinnerte er mich an Ringo Starr, der beim ersten USA-Besuch der Beatles auf die Reporterfrage, ob er wirklich so traurig wäre, wie er aussehe, gesagt haben soll:
    »Nein, das ist nur mein Gesicht.« Michael war wie Ringo Starr. Sein schmales Gesicht und die dicken Brillengläser, die er trug, fügten sich zu einer Kombination, die an die Karikatur eines Professors in einem boshaft satirischen Blatt erinnerte.

    Sein Haar wies starke Geheimratsecken auf, und er trug einen kurzen, etwas struppigen Kinnbart.
    »Hallo, Arnie«, sagte Regina, als wir hereinkamen. »Hallo, Dennis.« Das war so ungefähr das einzige freundliche Wort, das wir beide an diesem Nachmittag von ihr zu hören bekamen.
    Wir sagten ebenfalls hallo und holten uns den Kuchen und die Milch. Dann saßen wir in der Frühstücksnische. Das Abendessen schmorte bereits im Ofen, und ich bedauere, die Wahrheit sagen zu müssen; aber der Duft aus der Bratröhre war widerlich. Regina und Michael hatten eine Zeitlang mit dem Vegetarismus geliebäugelt, und nun roch es so, als habe Regina eine gute, abgehangene Seetang-Pizza zum Brutzeln in die Röhre gestellt. Ich hoffte nur, sie würden mich nicht zum Abendessen einladen.
    Die Schallplattenmusik verstummte, und Michael tauchte in der Küche auf. Er trug eine über den Knien abgeschnittene Jeanshose und ein entsprechendes Hemd und sah aus, als wäre sein bester Freund soeben vom Schlag getroffen worden.
    »Ihr kommt heut’ spät, Jungs«, sagte er. »War etwas Besonderes los?« Er öffnete den Kühlschrank und begann, darin herumzusuchen. Vielleicht war Seetang-Pizza auch nicht so ganz nach seinem Geschmack.
    »Ich hab mir ein Auto gekauft«, sagte Arnie und schnitt sich noch ein Stück Kuchen ab.
    »Du hast was gekauft?« rief seine Mutter von der Fensterni-sche herüber. Sie schoß so rasch von ihrer Sitzfläche empor, daß sie mit der Hüfte gegen die Tischplatte stieß, auf der die vielen Puzzleteile ausgebreitet lagen. Die Platte
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