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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne
Autoren: Jo Nesbø
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jemine«, sagte Bulle.
    Doch während alle anderen sich noch in Jammern und Wehklagen ergingen, fiel Lise etwas ein. Sie ging zur Tür, drückte die Klinke hinunter und schob.
    Und alles Jammern und Wehklagen verstummte beim Kreischen der Tür, die in ihren schlecht geölten Scharnieren aufschwang.
    »Wie um alles . . .?«, stammelte der Professor.
    »Klare Sache«, sagte Lise. »Wenn sie dachten, sie hätten die einzige Gefangene mitgenommen, warum sollten sie dann hinter sich wieder abschließen? Kommt!«
    »Moment!«, rief Jeanne. Zu ihrer Überraschung sahen die anderen, wie sie einen Kamm hervorzog und sich in aller Eile die Haare richtete. Als sie die ungläubigen Blicke der anderen sah, hielt sie inne.
    »Da draußen sind schließlich jede Menge Leute, oder?«, sagte sie säuerlich und steckte den Kamm wieder in ihr Kleid zurück.
    Dann stürmten sie alle miteinander aus der Tür, liefen durch lange dunkle Gänge, Treppen hinauf, die sich wie Würmer durch die Türme wanden, und landeten schließlich vor einer Tür, durch die sie in eine Eingangshalle gelangten, und von dort endlich auf einen offenen Platz. Dort blieben sie stehen. Der Widerschein der Flammen tanzte auf ihren Gesichtern. »Oh nein!« Jeanne schlug die Hände vors Gesicht. »Zu spät . . .«, sagte Doktor Proktor.

19 . Kapite l
Zurück in die Gegenwart
    ise stand wie festgefroren. Dieser Anblick war ihr bekannt. Sie kannte ihn von einem Bild. Aus einem Buch. Einem Geschichtsbuch.
    Die Flammen, die den Pfosten und an dem weißen Kleid emporschlugen.
    Ein Mann im Priesterrock stand vor dem Scheiterhaufen und hielt ein Kreuz vor sich hoch. Die Menschen auf dem Platz waren jetzt ganz still, nur das Brüllen der Flammen war zu hören und die lateinischen Worte, die ein Priester zum Nachthimmel emporrief. Und auf einmal war Lise alles klar. Vor allem, warum sie gefunden hatte, dass die Jeanne d’Arc im Geschichtsbuch Juliette Margarine ähnelte. Lise erschauderte. Denn ihr wurde ebenfalls klar, dass dies nur eines bedeuten konnte: Das, was hier gerade geschah, war tatsächlich geschehen, alles, genau so. Durch eine Verwechslung war Juliette, nicht Jeanne d’Arc am 30. Mai 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Egal, was sie jetzt unternahmen, es war zwecklos, sie hatte das Bild ja im Geschichtsbuch gese- hen. Alles war in Stein gemeißelt, es ließ sich nicht mehr ändern.
    »Es ist zu spät«, flüsterte Lise. »Es war schon die ganze Zeit alles zu spät.«
    So leise flüsterte sie es, dass weder der Professor noch Bulle noch Jeanne es hörten. Offenbar hatte aber Raspa es mitbekommen, denn sie beugte sich zu Lise hinunter und ließ ihre Wüstenstimme an ihrem Ohr vorüberwehen:
    »Mag sein, Lise. Mag sein. Aber es gibt immer noch eines, das sie retten kann.«
    »Der Tod«, hauchte Lise. »Sie haben gesagt, wer zu sterben bereit ist, der kann die Geschichte ändern.«
    »Genau.«
    »Doktor Proktor«, sagte Lise langsam. »Er hat gesagt, er will eher sterben, als sie zu verlieren.«
    »Das hat er gesagt«, sagte Raspa. »Aber wenn, dann muss es passieren, solange Juliette noch lebt.«
    Lise biss sich auf die Unterlippe. Gerade fing Juliettes Kleid Feuer. Doktor Proktor sank schluchzend auf die Knie.
    »Klare Sache«, sagte Lise. »Bulle! Hast du noch von dem Pupsonautenpulver?«
    Aber Bulle hörte nichts, er starrte gelähmt auf das Feuer. Also griff Lise in beide Taschen seiner Uniformjacke und zog aus der einen eine Plastiktüte.
    »Ist das Zeitseife?«, fragte Raspa.
    »Nein«, sagte Lise. »Das ist eine noch größere Erfindung. Von Doktor Proktor.« Dann legte sie den Kopf in den Nacken, sperrte den Mund auf und schüttete sich eine ordentliche Portion des hellblauen Pupsonautenpulvers hinein.
    »Was hast du vor?«, fragte Raspa.
    »Die Geschichte umschreiben«, sagte Lise. »Acht! Sagen Sie Doktor Proktor, er soll sich bereit machen, Juliettes Platz einzunehmen. Sieben!«
    »Was?«
    »Sechs! Fünf!«
    Bulle, Jeanne und der Professor drehten sich zu Lise und Raspa um.
    »Bulle und Jeanne!«, rief Lise und bückte sich, den Po zum Feuer gedreht. »Haltet mich fest! Vier! Drei!«
    Bulle hatte sofort kapiert, was seine beste Freundin vorhatte. Während Raspa Doktor Proktor etwas ins Ohr flüsterte, sprang Bulle hin, packte Lises Arm und winkte Jeanne, sie solle den anderen nehmen.
    »Zwei! Eins! Nu. . .«
    Es krachte derartig, dass Bulles Ohren sich in freudigem Schmerz zusammenrollten, Doktor Proktor spürte, wie sein Schädel knackte,
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