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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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habe sauer werden lassen, vielleicht, vielleicht wird mirs angerechnet und zugute gehalten sein, daß ich mich so befleißigt und alles zähe fertig gemacht, – ich kanns nicht sagen und habe nicht Mut, darauf zu hoffen. Meine Sünde ist größer, denn daß sie mir könnte verziehen werden, und ich habe sie auf Höhest getrieben dadurch, daß mein Kopf spekulierte, der zerknirschte Unglaube an die Möglichkeit der Gnade und Verzeihung möchte das Allerreizendste sein für die ewige Güte, wo ich doch einsehe, daß solche freche Berechnung das Erbarmen vollends unmöglich macht. Darauf aber fußend, {728} ging ich weiter im Spekulieren und rechnete aus, daß diese letzte Verworfenheit der äußerste Ansporn sein müsse für die Güte, ihre Unendlichkeit zu beweisen. Und so immer fort, also, daß ich einen verruchten Wettstreit trieb mit der Güte droben, was unausschöpflicher sei, sie, oder mein Spekulieren, – da seht ihr, daß ich verdammt bin, und ist kein Erbarmen für mich, weil ich ein jedes im voraus zerstöre durch Spekulation.
    Da aber nun die Zeit ausgelaufen ist, die ich mir einst mit meiner Seele erkauft, hab ich euch vor meinem Ende zu mir berufen, günstig liebe Brüder und Schwestern, und euch mein geistlich Hinscheiden nicht wollen verbergen. Bitt euch hierauf, ihr wollet meiner im Guten gedenken, auch andere, die ich etwa zu laden vergessen, von meinetwegen brüderlich grüßen und darneben mir nichts für übel halten. Dies alles gesagt und bekannt, will ich euch zum Abschied ein Weniges aus dem Gefüge spielen, das ich dem lieblich Instrument des Satans abgehört, und das zum Teil die verschmitzten Kinder mir vorgesungen.«
    Er stand auf, bleich wie der Tod.
    »Dieser Mann«, ließ sich da in der Stille die klar artikulierende, wenn auch asthmatische Stimme des Dr. Kranich vernehmen, »dieser Mann ist wahnsinnig. Daran kann längst kein Zweifel bestehen, und es ist sehr zu bedauern, daß in unserem Kreise die irrenärztliche Wissenschaft nicht vertreten ist. Ich, als Numismatiker, fühle mich hier gänzlich unzuständig.«
    Damit ging auch er hinaus.
    Leverkühn, umgeben von den genannten Frauen, auch von Schildknapp, Helene und mir, hatte sich an das braune Tafelklavier gesetzt und glättete mit der Rechten die Blätter der Partitur. Wir sahen Tränen seine Wangen hinunterrinnen und auf die Tasten fallen, die er, naß wie sie waren, in stark dissonantem Akkorde anschlug. Dabei öffnete er den Mund, wie um zu singen, aber nur ein Klagelaut, der mir für immer im Ohre {729} hängen geblieben ist, brach zwischen seinen Lippen hervor; er breitete, über das Instrument gebeugt, die Arme aus, als wollte er es damit umfangen, und fiel plötzlich, wie gestoßen, seitlich vom Sessel hinab zu Boden.
    Frau Schweigestill, die doch entfernter gestanden, war schneller bei ihm, als wir Näheren, die wir, ich weiß nicht, warum, eine Sekunde zögerten, uns seiner anzunehmen. Sie hob den Kopf des Bewußtlosen, und seinen Oberleib in mütterlichen Armen haltend, rief sie zur Seite ins Zimmer hinein gegen die annoch Gaffenden:
    »Macht's, daß' weiter kommt's alle miteinand! Ihr habt's ja ka Verständnis net, ihr Stadtleut, und da k'hert a Verständnis her! Viel hat er von der ewigen Gnaden g'redt, der arme Mann, und i weiß net, ob die langt. Aber a recht's a menschlich's Verständnis, glaubt's mir, des langt für all's!«

Nachschrift
    Es ist getan. Ein alter Mann, gebeugt, fast gebrochen von den Schrecknissen der Zeit, in welcher er schrieb, und von denen, die den Gegenstand seines Schreibens bildeten, blickt mit schwankender Genugtuung auf den hohen Haufen belebten Papiers, der das Werk seines Fleißes, das Erzeugnis dieser von Erinnerung sowohl wie von Gegenwartsgeschehen überfüllten Jahre ist. Eine Aufgabe ist bewältigt, für die ich von Natur nicht der rechte Mann, zu der ich nicht geboren, aber durch Liebe, Treue und Zeugenschaft berufen war. Was diese zu leisten vermögen, was Hingebung vermag, das ist geleistet worden, – ich muß es gut damit sein lassen.
    Als ich zur Niederschrift dieser Erinnerungen, der Biographie Adrian Leverkühns, ansetzte, bestand, von Autors wegen, wie von wegen des Künstlertums ihres Helden, nicht die geringste Aussicht auf ihre öffentliche Bekanntmachung. An die {730} se wäre jetzt, wo das Staatsungeheuer, das damals den Erdteil, und mehr als ihn, in seinen Fangarmen hielt, seine Orgien ausgefeiert hat, wo seine Matadore sich von ihren Ärzten vergiften und dann mit
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