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Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.

Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.

Titel: Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.
Autoren: Erich Kästner
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nicht, man täte es zum Spaß.
    Dann gehe man durch Straßen. Kreuz und quer.
    Und folge keinem vorgefaßten Ziele.
    Es gibt so viele Straßen, ach so viele!
    Und hinter jeder Biegung sind es mehr.
    Man nehme sich bei dem Spaziergang Zeit.
    Er dient gewissermaßen höhern Zwecken.
    Er soll das, was vergessen wurde, wecken.
    Nach zirka einer Stunde ist’s soweit.
    Dann wird es sein, als liefe man ein Jahr durch diese Straßen, die kein Ende nehmen.
    Und man beginnt, sich seiner selbst zu schämen und seines Herzens, das verfettet war.
    Nun weiß man wieder, was man wissen muß, statt daß man in Zufriedenheit erblindet: daß man sich in der Minderheit befindet!
    Dann nehme man den letzten Autobus,
    bevor er in der Dunkelheit verschwindet …

Eine Frau spricht im Schlaf
    Als er mitten in der Nacht erwachte,
    schlug sein Herz, daß er davor erschrak.
    Denn die Frau, die neben ihm lag, lachte, daß es klang, als sei der Jüngste Tag.
    Und er hörte ihre Stimme klagen.
    Und er fühlte, daß sie trotzdem schlief.
    Weil sie beide blind im Dunkeln lagen, sah er nur die Worte, die sie rief.
    »Warum tötest du mich denn nicht schneller?«
    fragte sie und weinte wie ein Kind.
    Und ihr Weinen drang aus jenem Keller, wo die Träume eingemauert sind.
    »Wieviel Jahre willst du mich noch hassen?«
    rief sie aus und lag unheimlich still.
    »Willst du mich nicht weiterleben lassen, weil ich ohne dich nicht leben will?«
    Ihre Fragen standen wie Gespenster,
    die sich vor sich selber fürchten, da.
    Und die Nacht war schwarz und ohne Fenster.
    Und schien nicht zu wissen, was geschah.
    Ihm (dem Mann im Bett) war nicht zum Lachen.
    Träume sollen wahrheitsliebend sein …
    Doch er sagte sich: »Was soll man machen!«
    und beschloß, nachts nicht mehr aufzuwachen.
    Daraufhin schlief er getröstet ein.

Lessing
    Das, was er schrieb, war manchmal Dichtung, doch um zu dichten schrieb er nie.
    Es gab kein Ziel. Er fand die Richtung.
    Er war ein Mann und kein Genie.
    Er lebte in der Zeit der Zöpfe,
    und er trug selber seinen Zopf.
    Doch kamen seitdem viele Köpfe
    und niemals wieder so ein Kopf.
    Er war ein Mann, wie keiner wieder,
    obwohl er keinen Säbel schwang.
    Er schlug den Feind mit Worten nieder, und keinen gab’s, den er nicht zwang.
    Er stand allein und kämpfte ehrlich
    und schlug der Zeit die Fenster ein.
    Nichts auf der Welt macht so gefährlich, als tapfer und allein zu sein!

Mißtrauensvotum
    Ihr sagt, ihr könntet in uns lesen.
    Und nickt dazu. Und macht euch klein.
    Ihr sagt, auch ihr wärt jung gewesen.
    Es kann ja sein.
    Ihr tragt Konfetti in den Bärten
    und sagt, wir wären nicht allein.
    Und fänden in euch Weggefährten.
    Es kann ja sein.
    Ihr hüpft wie Lämmer durch die Auen
    und tanzt mit Kindern Ringelreihn.
    Ihr sagt, wir dürften euch vertrauen.
    Es kann ja sein.
    Ihr mögt uns lieben oder hassen,
    ihr treibt dergleichen nur aus Pflicht.
    Wir sollen uns auf euch verlassen?
    Ach, lieber nicht!

Herbst auf der ganzen Linie
    Nun gibt der Herbst dem Wind die Sporen.
    Die bunten Laubgardinen wehn.
    Die Straßen ähneln Korridoren,
    in denen Türen offenstehn.
    Das Jahr vergeht in Monatsraten.
    Es ist schon wieder fast vorbei.
    Und was man tut, sind selten Taten.
    Das, was man tut, ist Tuerei.
    Es ist, als ob die Sonne scheine.
    Sie läßt uns kalt. Sie scheint zum Schein.
    Man nimmt den Magen an die Leine.
    Er knurrt. Er will gefüttert sein.
    Das Laub verschießt, wird immer gelber, nimmt Abschied vom Geäst und sinkt.
    Die Erde dreht sich um sich selber.
    Man merkt es deutlich, wenn man trinkt.
    Wird man denn wirklich nur geboren,
    um wie die Jahre zu vergehn?
    Die Straßen ähneln Korridoren,
    in denen Türen offenstehn.
    Die Stunden machen ihre Runde.
    Wir folgen ihnen Schritt für Schritt.
    Und gehen langsam vor die Hunde.
    Man führt uns hin. Wir laufen mit.
    Man grüßt die Welt mit kalten Mienen.
    Das Lächeln ist nicht ernst gemeint.
    Es wehen bunte Laubgardinen.
    Nun regnet’s gar. Der Himmel weint.
    Man ist allein und wird es bleiben.
    Ruth ist verreist, und der Verkehr
    beschränkt sich bloß aufs Briefeschreiben.
    Die Liebe ist schon lange her!

    Das Spiel ist ganz und gar verloren.
    Und dennoch wird es weitergehn.
    Die Straßen ähneln Korridoren,
    in denen Türen offenstehn.

Ein Pessimist, knapp ausgedrückt
    Ein Pessimist ist, knapp ausgedrückt, ein Mann, dem nichts recht ist.
    Und insofern ist er verdrießlich.
    Obwohl er sich, andrerseits, schließlich (und wenn überhaupt) nur freuen
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