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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
Autoren: Wladimir Kaminer
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einen runden Tisch und handelten wie in Deutschland üblich einen Kompromiss aus, der allen nutzen sollte. Die Straße wurde repariert, schicker und breiter gemacht, aber nur bis zur Hälfte. Auf diese Weise wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen gab man das Geld der Kommune für einen guten Zweck aus, zum anderen war die natürliche Barriere, die Raser und große Fahrzeuge von Glücklitz fernhalten soll, geblieben. Als ich von dieser Entscheidung erfuhr, konnte ich mir das Gesicht des Motorradfahrers vorstellen, der mitten zwischen Maisfeldern auf einer Allee vor einem großen Loch stehen blieb, in Richtung Dorf blickte und laut in die Stille sagte, was für weitsichtige und kluge Menschen die Glücklitzer doch waren.
    Durch die Verbesserung der Straße wurde das Selbstwertgefühl des Dorfes deutlich gehoben. Die zur Hälfte reparierte Allee wirkt gleichzeitig einladend und abweisend. Wer unbedingt nach Glücklitz gelangen wollte, würde es schaffen, die anderen leichtsinnigen Touristen müssten sich mit anderen Sehenswürdigkeiten Brandenburgs begnügen. Meine Gäste haben uns bis jetzt immer gefunden, obgleich sich jeder über die Straße und das Fehlen einer genauen Adresse beschwert. Ich habe jedem Besucher die Kirche als Orientierungshilfe empfohlen und ihn von dort abgeholt. Sie ist das einzige Gebäude in Glücklitz, das von Weitem sichtbar ist.
    Viele unserer Berliner Freunde und ehemaligen Schrebergartennachbarn haben inzwischen ebenfalls einen Garten draußen in der Wildnis. Manche haben sich für ein Leben auf dem Land entschieden und sind aus der Stadt ausgezogen. Frau Krause, die Heilerin, Anwältin und Schrebergartenbesitzerin, hatte ein Pferd geerbt. Dieses Pferd passte weder in ihre Wohnung noch in ihren Schrebergarten, sie wollte es aber unbedingt behalten. Also zog sie mit all ihren Tieren, Hunden, Kindern und einem Kanarienvogel, der an den Folgen eines Schlaganfalls litt und deswegen nur nach links fliegen konnte, aufs Land. Sie kaufte auf Kredit ein altes Haus in der Nähe von Bernau und besorgte für ihr Pferd noch eine Stute, damit sich die Tiere nicht langweilten. Wie Amazonen reiten Frau Krause und ihre Tochter nun um Bernau herum und machen die Bevölkerung in der Gegend unsicher.
    Eine andere Freundin mit Schrebergartenerfahrung zog, wie gesagt, kürzlich in ein Dorf namens Himmelpfort. Dorthin schicken alle Kinder Deutschlands und sogar manche Erwachsene ihre Wunschzettel für den Weihnachtsmann. Die Freundin erzählte uns, ihr ganzes Dorf stecke ganzjährig in einer ehrenamtlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme – es beantworte die an den Weihnachtsmann gerichteten Briefe. Natürlich könnte man diese Arbeit automatisieren und einen Roboter oder noch besser ein Computerprogramm damit beauftragen. Dann würden die Kinder immer die gleiche korrekte Antwort vom Weihnachtsmann bekommen:
    »Liebes Kind, vielen Dank für Deine Anfrage, bin zurzeit leider nicht im Büro, werde Deine Wünsche bei der ersten Gelegenheit an die Himmelskanzlei weiterleiten. Dein Weihnachtsmann.«
    Aber nein, das wäre für die Einwohner von Himmelpfort zu einfach. Die Antworten werden per Hand geschrieben und bei Uwe im Spätkauf abgegeben. Uwe ist so etwas wie der Hauptweihnachtsmann des Dorfes. Er hat die einzige Kneipe im Ort, die »Bei Uwe« heißt, dazu das einzige Geschäft – Uwes Spätkauf –, und er kontrolliert auch die Weihnachtsmann-Post.
    Unsere Freundin hat sich in diese Arbeit bereits integriert, sie erzählt begeistert, wie klug und zukunftsorientiert die meisten Kinderwünsche seien. Wer denkt, Kinder würden sich nur Quatsch wünschen und Süßigkeiten oder Spiele für sich bestellen, der irrt. Mit solchen Kleinigkeiten geben sich Kinder längst nicht mehr zufrieden. Viele von ihnen wollen beispielsweise ewig jung bleiben. Sie bitten den Weihnachtsmann, der Wissenschaft zu helfen, endlich eine Tablette gegen das Altern und den Tod zu erfinden, damit niemand mehr sterben muss. Wenn es zu eng auf der Erde werden sollte, weil niemand mehr stirbt, solle der Weihnachtsmann den Menschen ermöglichen, fremde Planeten zu entdecken, die sich gut zum Leben eignen und Wälder, Seen und Gärten haben. Außerdem soll auf unserem Planeten niemand hungern. Es wäre daher vom Weihnachtsmann ganz vernünftig, wenn er sich auch in dieser Sache etwas einfallen lassen würde, eine Nahrungsart, die einen auf einmal für viele Jahre satt macht beispielsweise.
    Was konnte Weihnachtsmann Uwe auf
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