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Diese eine Woche im November (German Edition)

Diese eine Woche im November (German Edition)

Titel: Diese eine Woche im November (German Edition)
Autoren: Michael Wallner
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ist so unwahrscheinlich, dass er die Wahrheit kaum über die Lippen bringt.
    » Ich heiße Tonio. Vorhin am Ufer habe ich beobachtet, wie ein … wie jemand hinter dir her war. Ich habe gesehen, wie sie dich beklaut hat. «
    Insgeheim entschuldigt er sich bei Pippa. Es ist fies, die eigene Arbeitskollegin anzuschwärzen.
    » Weshalb hast du nicht die Polizei gerufen? «
    » Ach, weißt du … « Haspelnd sucht er nach der nächsten Lüge. » Die jugendlichen Kriminellen hier sind arme Schweine. Sie müssen ihre Beute an miese Hehler abgeben. Ich habe mir die Kleine geschnappt. Sie hat die Brieftasche anstandslos rausgerückt. «
    Julia überlegt. Die Story hört sich so unglaubwürdig an, dass sie stimmen könnte. Aber Julia ist die Tochter eines Polizisten. Sie schaltet schnell und logisch. » Und weshalb hast du mehr Geld hineingetan, als drin war? «
    Damit hat sie ihn. Das wirft Tonios Geschichte über den Haufen.
    » Ich habe … erst später festgestellt, dass sie das Bargeld rausgenommen hatte. Deshalb habe ich was reingetan. «
    » Du bist nicht die Heilsarmee. Weshalb solltest du einer Wildfremden Geld schenken? «
    Er blickt zu Boden. Er hat keine Ahnung, was er sagen soll. » Machst du nicht auch manchmal Sachen, die du hinterher nicht verstehst? «
    » Nein. Nie. « Herausfordernd sieht sie ihn an.
    » Dann entschuldige ich mich dafür, dass ich dir helfen wollte. Gib mir mein Geld zurück. «
    Zu seiner Überraschung hält ihm Julia tatsächlich einen Schein hin. » Das war’s. Darf ich jetzt gehen? «
    Er tritt zurück. » Natürlich. «
    » So natürlich ist das nicht. Du hast mich gekidnappt. «
    » Unsinn, ich wollte nur … «
    An der Tür dreht sie sich um. Soll sie ihm nicht vielleicht etwas Nettes sagen? Denn schließlich, wenn die Sache stimmt, muss sie ihm dankbar sein. » Stammst du von hier? «
    » Ich bin Venezianer. «
    » Du solltest mal deine Schuhe putzen. « Sie grinst.
    Tonio schaut an sich hinunter. Tang und Schlick kleben an seinen Füßen.
    » Ich heiße Julia « , sagt sie und schlüpft hinaus.
    Tonio steht da, als ob sie ihm ein Zauberwort verraten hätte.
    » Julia « , flüstert er. » Sie heißt Julia. «

8

    R inaldo muss endlich den Abwasch machen. Das dreckige Geschirr stinkt zum Himmel, Teller, Gläser, Pfannen stapeln sich turmhoch. Gedankenverloren krempelt er die Ärmel auf, lässt Wasser in die angepappten Töpfe, taucht Teller in die Lauge. Er hebt den Blick. Die Sache beschäftigt ihn noch immer.
    Auf seinem Arbeitstisch liegt der Herrenhut. Feiner grauer Filz, von Hand vernäht, das Schweißband aus dunkelgrüner Seide. Berretteria Lorenzo & figlio, steht auf dem Etikett und die Modellbezeichnung: Borsalino 554. Der kleine Mann, dem seit gestern eine Hand fehlt, ist Kunde eines venezianischen Hutmachers.
    Vorhin hat Rinaldo der Firma Lorenzo & figlio einen Besuch abgestattet. Nicht persönlich, das ist nicht nötig. Er verlässt sein Hauptquartier so gut wie nie. Stattdessen hat er sich in die Kundenkartei der Hutmacherfirma eingehackt. Er lokalisierte die Personen, die das Modell Borsalino 554 gekauft haben. Die Kopfgröße engte den Kreis weiter ein, drei Namen blieben übrig: ein Zahnarzt, ein pensionierter Postbeamter und der Besitzer einer Consultingfirma. Wer von den dreien den Hut getragen hat, war leicht zu erraten. Wer würde einem Zahnarzt oder einem Postbeamten die Hand abhacken? Bei einem Börsenbroker sieht die Sache anders aus. Rinaldo kennt seinen Namen: Franco da Silva.
    Weshalb wird ein Mann, der mit den Mitteln der modernen Technik auf Finanzmärkten spekuliert, nach einem uralten Ritual bestraft? Seit Ewigkeiten hat man nichts von der geheimen Bruderschaft gehört, die ihre Feinde so grausam behandelte – die Bruderschaft der Trucidi.
    Der Weißhaarige spült einen Teller unter kaltem Wasser ab. Der Geheimbund ist im 14. Jahrhundert entstanden, als Venedig Krieg gegen Genua führte. Die Lagunenstadt wurde von den Genuesern eingekreist. Ein venezianischer Adeliger riet dem Dogen, schwimmende Festungen um die Stadt zu errichten und mit Kanonen zu bestücken. Mithilfe dieser Strategie wurde der Feind geschlagen. Venedig blieb die uneingeschränkte Herrscherin im Mittelmeer. Unter der Führung dieses Adeligen gewann eine geheime Gesellschaft großen Einfluss in der Lagunenstadt. Die Trucidi hielten Gerichtsverfahren ab, bei denen Missetäter bestraft wurden, an die sich die gewöhnliche Justiz nicht herantraute: höhergestellte Personen, die andere
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