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Diebe

Diebe

Titel: Diebe
Autoren: Will Gatti
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lesen wie in einer Zeitung. Jeder versucht irgendwann mal, sie zu beschummeln; das erwartet sie gar nicht anders, aber sie lässt es ihnen nicht durchgehen, und wenn sie daraus nicht lernen, wenn sie ihr Glück vielleicht einmal zu oft versuchen, dann ziehen sie, ehe sie sich’s versehen, weiter. Baz und Demi haben früher gelegentlich gefragt: »Oh, was ist eigentlich mit dem und dem?«, und Fay antwortete dann nur: »Der Junge is ’n Dieb – aber Fay lässt sich nicht beklauen. Er ist weitergezogen.« Inzwischen fragen sie nicht mehr nach. Baz glaubt auch nicht mehr, dass sie einfach »weiterziehen«; vermutlich werden sie abgeholt und fortgebracht wie Paquetito, vielleicht landen sie, wie Raoul gesagt hat, auf dem Berg.
    Sie und Demi bringen immer alles zurück, was sie ergattern, alles außer dem bisschen Geld, von dem sie sich mal etwas zu essen kaufen oder das sie hin und wieder bei Mama Bali ausgeben, und vielleicht vertraut Fay ihnen beiden daher ein bisschen mehr als den anderen. Baz glaubt, dass Fay wahrscheinlich nicht einmal sich selbst ganz und gar vertraut. Demi pflegt, halb bewundernd, zu sagen: »Wenn sie in der Nähe ist, musst du die ganze Zeit aufpassen, was du sagst. Ich schwör dir, Fay kann um die Ecke gucken, und sie hört jede Ratte unten in der Gasse quieken, vor allem, wenn die Ratte irgendwas über sie quiekt.« Baz ist der Ansicht, dass Demi sich manchmal seinen eigenen Rat ein bisschen mehr zu Herzen nehmen sollte.
    Die Jungen werden losgeschickt – Raoul bekommt mitgeteilt, dass Giacomo mit ihm zusammenarbeitet und dass die beiden sich vom Stadtzentrum fernhalten sollen. Der Raub des Rings auf offener Straße vor dem vornehmen Juweliergeschäft hat garantiert Aufsehen erregt und deshalb werden die Wachleute die Augen heute besonders scharf offen halten.
    Fay, Demi und Baz bleiben allein am Tisch zurück. Raoul hat kürzlich eine Brieftasche gestohlen, in der nichts als Lotteriescheine steckten, daher vergleicht Fay jetzt die Zahlen mit denen, die gerade im Fernsehen bekannt gegeben werden, und zerknüllt nacheinander jeden einzelnen Schein, wenn die Zahlen nicht übereinstimmen. »Weiß nicht, warum ich mich mit diesem Jungen noch abgebe. Die Hälfte der Zeit bringt er mir praktisch nichts zurück und essen tut er bald mehr als alle andern zusammen«, sagt sie. »Wird Zeit, dass ihr beiden euch an die Arbeit macht. Wohin wollt ihr heute?«
    »Norte«, sagt Demi. Das ist einer der vier Bahnhöfe, die die Stadt mit dem Umland verbinden. Bahnhöfe sind ein ergiebiges Gelände: Touristen kommen und gehen, die Menschen sind vollauf mit der Frage beschäftigt, wie sie dahin kommen, wo sie hinwollen, tragen vielleicht mehr Gepäck mit sich herum, als sie sollten. Aber auch hier gibt’s jede Menge Uniformträger, die nach Dieben wie Demi und Baz Ausschau halten.
    Fay grunzt und stößt dann einen kleinen Triumphschrei aus, weil endlich mal eine von ihren Zahlen passt.
    »Was jubelste da groß?«, sagt Demi. »Wie viel haste gewonnen? Höchstens zwanzig.«
    »Das Geld wächst nicht auf den Bäumen, heißt es«, sagt sie. »Manchmal tut’s das aber doch.« Und sie lacht. »Trotzdem müsst ihr’s heute wieder aus den Taschen pflücken. Versucht keine ausgefallenen Sachen, hört ihr. Geld isses, was wir brauchen, Geld, Geld und noch mal Geld.« Ihre Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf die Scheine und den Bildschirm.
    »Dann hat Raoul dir also doch was gebracht«, sagt Baz. »Glatten Zwanziger.«
    Fay langt nach einer Packung ihrer dünnen schwarzen Zigarillos, steckt sich einen zwischen die Lippen und zündet ihn an. »Du magst ihn, hm?« Sie beäugt Baz durch den aufsteigenden Rauch.
    Baz zuckt mit den Schultern.
    »Mehr als Demi hier?« Sie zieht sie nur auf, aber Baz geht nicht darauf ein. »Willst mit dem Dicken auf Tour gehn?«
    »Raoul ist in Ordnung«, lässt sich Demi vernehmen. »Langsamer als ich, aber ganz in Ordnung.«
    »Er redet zu viel«, sagt Fay entschieden, während sie den letzten Schein zu Boden wirft. »Mit ’nem Zwanziger kommst du nicht weit in dieser Welt. Geht jetzt los – ich hab einiges zu erledigen.«
    Demi schlendert zum Becken in der Ecke, wäscht sich das Gesicht und den Hals. Baz bleibt wartend neben dem Tisch stehen. Fay raucht und geht dabei die Mitteilungen auf ihrem Handy durch. Baz sammelt die Lotteriescheine auf, die Fay hat fallen lassen, und sagt: »Fay, was ist auf der andern Seite vom Fluss los? Warum gehn wir da nie hin?«
    »Warum willst’n
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