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Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Titel: Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Autoren: Theo Zwanziger
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hatte, was passieren würde, wenn ich die Kampfabstimmung beim DFB -Bundestag gegen MV zulassen und gewinnen würde. Ich erinnerte mich an die bewegten Tage in der rheinland-pfälzischen CDU im Herbst1988 , die zum Sturz von Ministerpräsident Bernhard Vogel geführt hatten und in denen auch ich eine nicht unbedeutende Rolle spielte (davon wird in einem späteren Kapitel die Rede sein).
    Wie sollte ich einen Verband führen, der wegen einer Personalentscheidung von wesentlichen Teilen des professionellen Fußballs nicht mehr ausreichend gestützt wird? Zwar war mein Verhältnis zu den wichtigsten Profiklubs schon damals intakt, und ich durfte davon ausgehen, dass man mir die Aufgabe zutraute, aber das rechtfertigte aus Sicht der Klubvertreter dennoch nicht, ihren Fürsprecher zu stürzen.
    Sosehr die Profiklubs sich untereinander bekämpfen, manchmal regelrecht fetzen, so geschlossen treten sie auf, wenn sie ihre gemeinsamen Interessen bedroht sehen. Das ist bei anderen Gruppen im organisierten Fußball wie den Schiedsrichtern, den Trainern oder landsmannschaftlichen Bündnissen nicht anders. Wenn sie das Gefühl haben, dass ein Gruppenmitglied angegriffen wird, tritt sozusagen der Bündnisfall ein.
    Es war also nicht damit zu rechnen, dass die Profivereine den Putsch gegen »ihren« Präsidenten widerspruchslos hinnehmen würden. Deshalb habe ich mich auf die Doppelspitze eingelassen und bin auch heute noch davon überzeugt, dass wir damals im Sommer 2004 die beste Entscheidung getroffen haben. Die Alternativen wären schlimmer gewesen: ein unzufriedener und zerrütteter Verband mit einem Präsidenten, der von der Basis nicht mehr gestützt wird – oder ein neuer Mann an der Spitze, der von Teilen der Liga nicht getragen und international nicht akzeptiert wird.
    Am 23. Oktober2004 , kaum vier Monate nach dem EM -Desaster in Portugal, wurde ich auf dem DFB -Bundestag einstimmig zum geschäftsführenden Präsidenten gewählt. Die Öffentlichkeit allerdings blieb skeptisch – ich bekam zahlreiche böse Briefe, deren Verfasser mich für einen »Königsmörder« hielten und die Doppelspitze von vornherein zum Scheitern verurteilt sahen.
    Das Gegenteil war richtig: Nicht zuletzt dieser kluge Kompromiss trug dazu bei, dass der deutsche Fußball nach 2004 einen Aufschwung genommen hat, der bis heute anhält.

2.
    »Tore wie reife Früchte«:
    Kindheit und Jugend im Westerwald ↵
    Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Und doch hat sein Schicksal meinen Lebensweg stark beeinflusst. »Der außerordentlich tapfere Leutnant Theodor Zwanziger«, wie ein Kamerad ihn beschrieb, starb zehn Wochen vor meiner Geburt am 23. März 1945 in diesen wahnsinnigen letzten Gefechten des Zweiten Weltkriegs am Oderbruch, als Hitlers Wehrmacht von der Roten Armee überrannt wurde. Er war erst sechsundzwanzig Jahre alt. Mit ihm fielen fünfzigtausend Menschen dem sinnlosen Gemetzel zum Opfer.
    Viele Jahre später habe ich die Briefe zu lesen bekommen, die sich mein Vater und meine Mutter in den letzten Kriegsmonaten geschrieben haben. Er war als junger Soldat wie viele andere der verbrecherischen Nazipropaganda ausgesetzt und glaubte bis zum Schluss an den Endsieg der »gerechten Sache«. Meine Mutter musste hingegen hautnah miterleben, dass Menschen über Nacht verschwanden, und hatte, wie sie in jenen Briefen behutsam andeutete, den Glauben schon längst verloren. Die französischen Kriegsgefangenen, die auf dem Hof der Familie in Altendiez arbeiteten, wurden fair behandelt; zu vielen von ihnen hatte meine Familie auch nach dem Krieg noch freundschaftliche Verbindungen.
    Meine Mutter hatte auch ihren jüngeren Bruder an der Front verloren, ihr eigener Vater war gezeichnet aus dem Krieg gekommen, und mein Großvater väterlicherseits ist wenige Jahre nach Kriegsende gestorben. So blieben die Frauen, meine Mutter und in besonderer Weise meine Großmutter, die mich erzogen. Ihre Schilderungen über die Ursachen des Wahnsinns lehrten mich früh den Respekt vor anderen Menschen, gleich welcher Hautfarbe, Religion oder Gesinnung. Und nicht zuletzt diese Erfahrung hat mich zeitlebens immer angetrieben, für Toleranz und gegen Diskriminierung einzutreten.
    Ein Schulfreund meines Vaters aus Bremen, der meine Mutter mit ihrem Baby nach Kriegsende getroffen hat, schrieb: »Sein Sohn, der seinen Vater nie sah, gleicht ihm aufs Haar.« Ich sollte eigentlich Gerd heißen. Doch meine Mutter Irma nannte mich dann Gerd-Theo, und den Gerd habe ich bald
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