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Die Zuflucht der Drachen - Roman

Die Zuflucht der Drachen - Roman

Titel: Die Zuflucht der Drachen - Roman
Autoren: Penhaligon Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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das letzte Mal für eine ganze Weile, nicht zu Hause. Er wusste, dass sie ab und zu Briefe von Gavin bekam. Im Oktober hatte Seth auf der Suche nach dem Tagebuch der Geheimnisse zwei Briefe in ihrem Sockenfach gefunden. Beide waren voll umwerfender Infos über Drachen gewesen. Aber dann hatte sich Kendra ein neues Versteck gesucht. Er war sicher, dass sie noch mehr Briefe bekommen hatte, aber er hatte in letzter Zeit keine Gelegenheit gehabt, gründlich zu suchen.
    Freudig erregt und mit vielleicht einem winzig kleinen Hauch von schlechtem Gewissen eilte Seth die Treppe hinauf. Er lief in Kendras Zimmer und spähte in den Spalt zwischen Bücherregal und Wand. Nichts. Hier hatte sie immer das Tagebuch der Geheimnisse aufbewahrt, aber anscheinend hatte sie es, wie auch die Briefe, an eine weniger leicht zugängliche Stelle geschafft.
    Er begann Schubladen aufzuziehen und vorsichtig zwischen den säuberlich aufgestapelten Kleidern zu suchen. Ein Teil von ihm wünschte, er könnte den ganzen Plunder einfach auf den Boden werfen, um die Sache zu beschleunigen, aber natürlich durfte er auf keinen Fall Spuren hinterlassen. Warum hatte seine Schwester so viele Kommoden, so viele Kleider? Die Suche ging so quälend langsam voran, dass er sich schon zu fragen begann, ob ihn die Briefe wirklich so brennend interessierten.
    Seth ging in die Mitte des Raums, stemmte die Hände in die Hüften und ließ seinen Blick umherwandern. Kendra war nicht blöd. Wo würde sie die Briefe verstecken? Wo waren sie wirklich schwierig zu finden? Vielleicht hatte sie sie unter ihren Schreibtisch geklebt? Nein, da war nichts. In dem Belüftungsschacht in der Wand? Dort auch nicht. Zwischen den Seiten ihrer Mammutschwarte von Wörterbuch? Pech gehabt.
    Seth begann sich durch ihren Schrank zu arbeiten. In einem Schuhkarton? In einem Schuh? Auf einem Regal? Hinter einem Stapel Pullover fand er das Tagebuch der Geheimnisse und den Stummel der Umitenkerze, und es überraschte ihn, dass Kendra etwas so Wichtiges an einem so augenfälligen Ort aufbewahrte. Er hätte das Tagebuch hinter der Dachisolierung auf dem Speicher versteckt oder sonst einem wirklich schwer zugänglichen Platz.
    Seth hatte das Tagebuch der Geheimnisse schon einmal gefunden. Er hatte die Umitenkerze angezündet, über den rätselhaften Symbolen gebrütet und schließlich eingesehen, dass er niemals rausbekommen würde, was in dem Buch stand, wenn Kendra es ihm nicht übersetzte, und es deshalb sorgfältig wieder hinter das Regal gestellt.
    Seth schlug das Tagebuch auf. Möglicherweise hatte sie die Briefe ja hineingesteckt. Nein, nur leere Seiten. Er dachte darüber nach, das Tagebuch an einer anderen Stelle zu verstecken, um ihr klarzumachen, dass sie es an einem intelligenter gewählten Ort aufbewahren musste. Damit konnte er ihr eine deftige Lektion erteilen, fand er. Aber natürlich wüsste seine Schwester dann, dass er in ihrem Zimmer herumgeschnüffelt hatte, und das würde nur Ärger geben.
    Und dann kam ohne Vorwarnung Kendra herein.
    Seth stand wie erstarrt da und ließ seinen Blick auf das Tagebuch in seinen Händen sinken. Was machte seine Schwester um diese Uhrzeit zu Hause? Sie sollte noch mindestens eine Stunde im Kinderhort sein!
    »Was tust du da?«, fragte Kendra scharf.
    Seth versuchte, möglichst gelassen zu wirken, während er sich mühte, eine plausible Antwort zu finden. Er blickte in die strengen Augen seiner Schwester und widerstand dem Drang, das Tagebuch irgendwie verbergen zu wollen. Es war ohnehin zu spät. Sie hatte es gesehen. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass du das Tagebuch an einem sicheren Ort versteckt hast.«
    »Du hast kein Recht, in mein Zimmer zu gehen und meine Sachen zu durchwühlen«, erklärte sie schroff.
    »Ich habe nichts kaputtgemacht. Mir war nur langweilig.« Er hielt das Tagebuch hoch. »Du hast es nicht besonders gut versteckt.«
    Kendra ballte zitternd die Fäuste, und ihr Ton klang, als könne sie sich nur mühsam beherrschen. »Tu nicht so, als wärst du mein Wachhund. Zunächst einmal, Seth, musst du zugeben, dass das, was du getan hast, falsch war. Du kannst nicht so tun, als wär das okay.«
    »Ich bin in deine Privatsphäre eingedrungen«, gestand er.
    Kendra entspannte sich ein klein wenig. »War das richtig oder falsch?«
    »Es war falsch, mich erwischen zu lassen.«
    Ihr Gesicht wurde rot, und einen Moment sah es so aus, als würde sie sich gleich auf ihn stürzen. Die Heftigkeit ihrer Reaktion verblüffte Seth.
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