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Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt

Titel: Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Autoren: Ralf Isau
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der auf große Entfernung töten konnte, verließ er sich für den Nahkampf auf sein zweischneidiges Kurzschwert Malmath. Die wellenförmige Klinge aus vielfach gefaltetem Stahl entsprang dem Griff so schmal wie ein Dolch, verbreiterte sich alsbald in elegantem Schwung und mündete jäh in einer lanzettenfeinen Spitze.
    Obwohl auch im Umgang mit anderen Waffen geübt, verdankte Taramis den Ruf der Unbesiegbarkeit vor allem seinem Schwert und dem Feuerstab. Es hieß, er sei mit achtzehn Jahren in der Tempelgarde von Jâr’en bereits der beste Kämpfer gewesen. Er selbst gab auf solche Übertreibungen jedoch nicht viel.
    Das Erbe seines Volkes vermochte er dennoch nicht zu leugnen. Glaubte man dem Sprichwort, dann kamen Zeridianer als Jäger zur Welt. Taramis verspürte die tiefere Wahrheit dieser Worte hier auf Zeridia so intensiv wie nie zuvor. Schon in seinen Vorbereitungen hatte sich dieser Jagdinstinkt gezeigt. Er war auf Allons Rücken über den Wald geflogen, hatte mit sicherem Blick die günstigsten Stellen ausgesucht und sich wie selbstverständlich seine Strategie zurechtgelegt. So als hätte er nie etwas anderes getan.
    Jetzt, ganz auf sich allein gestellt, wurde er eins mit der Natur, diesem Ehrfurcht einflößenden, wahrhaft gigantischen Organismus. Moosfarne schienen ihm wie seine Schwestern zu sein und die grün überwucherten Findlinge wie Brüder. Er fühlte sich wie ein Sohn der Baumriesen, deren Äste voller Flechten hingen und an lange Bärte erinnerten. Unentwegt tastete er mit Händen, Füßen und Geist. Er lauschte mit seinen Ohren den Stimmen der Tiere und prüfte mit der Nase die dunstgeschwängerte Luft. Dreihundert Tage im Jahr verschleierte der Nebel hier das Licht, die Geräusche, den Regenwald, alles Leben darin.
    Und immer häufiger verwandelte er sich für seine Bewohner in ein Leichentuch.
    Am Widerhall seiner Schritte erkannte Taramis, dass die mächtigen Stämme hinter den wabernden Dunstschwaden zurücktraten. Der Wald lichtete sich. Ein Windhauch trug den Duft von Schilf herbei, ein Vorbote des Grünen Sees.
    Am Eingang eines felsgesäumten Hohlweges duckte sich Taramis in die hüfthohen Farne. Die funkelnde Spur bog nach rechts ab, wo sie fast schnurgerade einen steilen Hang erklomm. Er hatte genau das Gegenteil vermutet, denn links ging es durch die Felsrinne zum Grünsee hinab. Dort unten, bei der Tränke, erwartete die Bestie mit den großen Tatzen reiche Beute. Deshalb hatte sich Taramis für das Zusammentreffen auch die Engstelle ausgesucht. Hier gab es kein Entkommen. Alle nötigen Vorkehrungen waren getroffen. Warum verhielt eine der räuberischsten Kreaturen, die je auf dieser Insel ihr Unwesen getrieben hatte, sich so völlig anders?
    Taramis lauschte. Seine feinen Sinne atmeten förmlich die Umgebung ein. Er hörte den Wind in den Wipfeln, den Flügelschlag der Vögel, das Summen von Insekten, das Knistern eines Hirschkäfers, der sich seinen Weg durch Laub und Kiefernnadeln bahnte. Alles wirkte so friedlich, wie es in einer Welt des Fressens und Gefressenwerdens nur sein konnte.
    Was nun? , fragte sich Taramis. Sollte er seinen Schlachtplan über den Haufen werfen und dem Phantom auf den Berg folgen? Das schwarze Holz in seinen Händen schien aufgeregt zu pulsieren. Er ließ sich davon nicht verunsichern. Nur sein Herz pochte wie verrückt, trieb Wogen heißen Blutes durch seine Adern. Ob der Stab seine Macht entfaltete, würde sich erst noch zeigen. Sollte die Bestie nämlich nur ein vernunftloses Tier sein, wäre sie für Ez ebenso unschuldig wie ein Kind. Er taugte dann bestenfalls als Ochsenstachel, wie Marnas einmal spöttisch bemerkt hatte, als ein kleiner Dorn, mit dem man schwerfällige Dickhäuter triezen konnte.
    Plötzlich erscholl über Taramis ein lautes Rattern. Unwillkürlich duckte er sich tiefer in die Farne. Seine Augen suchten nach einem herbeischwirrenden Geschoss, einem Angreifer oder einer anderen Gefahrenquelle. Die Dunstschleier lichteten sich für einen Augenblick, und er entdeckte an einem Stamm weit oben den Verursacher des Lärms: Ein Specht hämmerte sich voller Übermut durch die Rinde.
    Taramis atmete erleichtert auf. Er sondierte noch einmal gründlich das Terrain, ehe er aus der Deckung trat. Sein Blick folgte der glitzernden Fährte hangaufwärts, die nach etwa zweihundert Schritten im Nebel verschwand. Ihm fiel ein, wie die Bewohner von Zeridia die Kreatur nannten, der er nachstellte: den schleichenden Tod. Manche sagten, sie sei ein
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