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Die Zeitreisenden in Callahans Saloon

Titel: Die Zeitreisenden in Callahans Saloon
Autoren: Spider Robinson
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Eindollarnote auf die Theke. (Callahan behauptet, daß kein vernünftiger Mensch Eindollarscheine fälschen würde; die meisten von uns nehmen an, daß er sich einfach gern mit einer Handvoll Dollars den Schweiß vom Gesicht reibt, nachdem er die Bar geschlossen hat.)
    Man bekommt sein bevorzugtes Gift. Man kippt es, und dann steht man vor der Alternative. Man kann sich unterwegs aus der immer vollen Zigarrenkiste am Ende der Theke zwei Vierteldollar schnappen und in die Nacht entschwinden. Oder man kann, sobald man ausgetrunken hat, zur Kreidelinie mitten im Raum gehen, einen Toast ausbringen (das ist Vorschrift) und das Glas in den breiten, altmodischen Kamin schleudern, der den größten Teil der Rückwand einnimmt. Dann verläßt man das Lokal, ohne die Zigarrenkiste aufzusuchen. Oder man zaubert einen zweiten Dollar hervor und steht wieder vor der Alternative.
    Callahan muß die Zigarrenkiste nur selten nachfüllen. Er bestellt die Gläser in solchen Mengen, daß sie ihn beinahe nichts kosten, und fegt jeden Morgen den Kamin eigenhändig aus.
    Noch eine ketzerische Besonderheit: niemand beobachtet dich mißtrauisch, um sicher zu sein, daß du dir nicht mehr Vierteldollars nimmst, als dir zustehen. Wenn Callahan jemanden erwischt, der ihn betrügt, wirft er ihn höchst persönlich für immer hinaus. Manchmal macht er die Tür vorher nicht auf. Das letzte Mal, als er jemanden hinausbefördern mußte, schrieben wir 1947, und es handelte sich um einen Herrn namens Big Beef Mc-Caffrey.
    Die Feststellung, daß es ein verdammt interessantes Lokal ist, kommt keineswegs von ungefähr. Von solchen Lokalen hört man nur, wenn man sie braucht – und wenn man sehr viel Glück hat. Denn wenn ein Kunde seinen Trinkspruch ausgebracht hat, sein Glas zerschmettert hat und dann noch das Bedürfnis verspürt, über seine Schwierigkeiten zu sprechen, wendet ihm sofort jeder Anwesende seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu. (Deshalb die Vorschrift mit dem Trinkspruch. Männer, die einen Kummer mit sich herumtragen und auf diesen Kummer im Trinkspruch zu sprechen kommen, stellen dabei fest, daß sie unbedingt darüber reden möchten. Callahan hat wirklich ein kluges Köpfchen.) Andererseits wird nicht einmal der quälendste, rätselhafteste Toast zu neugierigen Fragen führen, wenn der Kerl nicht zu erkennen gibt, daß er seinem Herzen Luft machen will. Jeder, der versucht, mit diesem Brauch zu brechen, wird sofort vom Schnellen Eddie, dem Klavierspieler, geschnappt und durch die Hintertür abgeschoben.
    Aber irgendwie haben viele das Bedürfnis, sich in Callahans Saloon etwas von der Seele zu reden; und man bekommt hier innerhalb einer Woche tiefere Einblicke in das menschliche Wesen als in zehn Jahren in jeder anderen Kneipe, die ich kenne. Vermutlich findet man hier auch Trost für beinahe jede Art von Trübsal, wenn nicht von jemand anderem, dann von Callahan persönlich. Es muß schon ein ganz besonderer Schmerz sein, wenn er die Ratschläge, die Hilfe und das Mitgefühl von über dreißig Gästen übersteht, die Anteil nehmen. Callahan verliert laufend Stammkunden. Nachdem sie lang genug bei ihm aufgekreuzt sind, stellen sie fest, daß sie keinen Kummertrunk mehr brauchen.
    Um so einen Saloon handelt es sich.
    Ich möchte nicht, daß Sie sich Callahans Saloon als tränenreiche Gruppentherapie nach Art der Anonymen Alkoholiker vorstellen, bei der Callahan als deftiges Psychoanalytiker-Vatersymbol im Vordergrund steht. Verdammt, viele Trinksprüche rufen dröhnendes Gelächter hervor, oder der Chor brüllt Zustimmung, oder, wenn die Stimmung an dem Abend besonders angeregt ist, kommen aus dem ganzen Raum Gläser geflogen. Callahan hat nichts gegen Krach; er findet, daß eine Bar »fröhlich« sein sollte, solange dabei keine Knochen unabsichtlich zu Bruch gehen. Ich weiß noch, wie er Spud Flynn half, ein Sitzkissen anzuzünden, weil dieser eine Wette darüber abgeschlossen hatte, aus welcher Richtung die Zugluft kam. Callahan strahlt zu jeder Zeit monolithische Ruhe aus; und seine Geduld ist länger als der Äquator.
    Der Abend, von dem ich Ihnen erzähle, war ganz sicher fröhlich. Als ich gegen zehn Uhr eintrudelte, schlurften die Gäste bei einem schauderlichen Volkstanz mitten im Raum herum. Ich legte einen Dollar auf die Theke, bekam ein Glas Tullamore Dew und ein Begrüßungslächeln von Callahan und lehnte mich in meinem Stuhl zurück – Callahan haßt Barhocker –, um das Leben und Treiben zu beobachten. Das ist das
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