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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte
Autoren: Madeleine L'Engle
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den Knien, das Kinn auf die Fäuste gestützt. Jetzt sprang er auf und rief: »Das kann ich nicht zulassen!«
    »Wwarumm nnicht?« wollte Frau Dergestalt wissen.
    »Ich weiß nicht, was oder wer Sie sind, und für den Augenblick ist das auch gar nicht so wichtig. Aber ich kann Ihnen nicht gestatten, meine Tochter allein in diese Gefahr zu stürzen.«
    »Wwarumm nnicht?«
    »Weil sich absehen läßt, wozu dieses Abenteuer führen wird. Meg ist jetzt schwach, schwächer als zuvor. Beinahe hätte das Schwarze Ding sie getötet. Ich begreife nicht, wie Sie ein solches Wagnis auch nur in Erwägung ziehen können.«
    Calvin sprang auf. »Wahrscheinlich stimmt, was ES über Sie gesagt hat, Herr Murry! Vielleicht hat ES sich sogar mit Ihnen verbündet. Wenn also einer gehen muß, dann ich. Warum hat man mich denn überhaupt auf diese Reise mitgenommen? Damit ich Meg helfen soll. Das hat Frau Wasdenn selbst gesagt.«
    »Aber du hast Meg doch geholfen!« versicherte sie ihm.
    »Ich?« rief Calvin. »Nichts habe ich getan! Sie dürfen Meg nicht losschicken. Ich erlaube es nicht. Ich werde das verhindern. Ich werde es nicht zulassen.«
    »Begreifst du denn nicht, daß du ihr mit deinem Verhalten die Entscheidung nur noch schwerer machst?« ermahnte ihn Frau Wasdenn.
    Das Tantentier wandte ihr seine Fühler zu. »Wird sie stark genug sein, noch einmal zu tessern? Du weißt, was sie alles durchlitten hat.«
    »Wenn Frau Dergestalt sie mitnimmt, wird Meg es schaffen«, sagte Frau Wasdenn.
    »Würde es ihr helfen, wenn ich mitkäme? Ich könnte sie halten.« Das Tanten tier preßte Meg noch fester in seine Arme.
    »Oh, Tantentier … « begann Meg, aber Frau Wasdenn schnitt ihr das Wort ab.
    »Nein«, erklärte sie.
    »Das habe ich befürchtet«, sagte das Tier ergeben. »Ich wollte Sie nur wissen lassen, daß ich dazu bereit wäre.«
    »Frau – hm —, Frau Wasdenn … « Herr Murry räusperte sich, schob sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht und rieb sich mit dem Mittelfinger an der Nase, als wolle er seine Brille zurechtrükken. »Haben Sie auch bedacht, daß Meg noch ein Kind ist?«
    »Und geistig ziemlich unterentwickelt«, bekräftigte Calvin.
    »Das ist nicht wahr!« widersprach Meg heftig und hoffte, daß man ihr Zittern bloß als Zeichen der Entrüstung auslegen würde. »In Mathematik bin ich sogar viel weiter als du; versuche nicht, das abzustreiten.«
    Frau Wasdenn beendete den Streit. »Hast du den Mut, allein zu gehen?« wollte sie wissen.
    »Nein«, gab Meg zu. »Nein. Aber das tut nichts zur Sache.« Sie wandte sich an ihren Vater und an Calvin. »Ihr wißt, daß es die einzige Möglichkeit ist. Und daß sie mich sonst nicht fortschicken würden.«
    »Und was ist, wenn ES sich mit ihnen verbündet hat?« wandte Herr Murry ein.
    »Vater!«
    »Schon gut, Meg!« erwiderte Frau Wasdenn. »Ich mache deinem Vater aus seinem Zorn, seinem Mißtrauen und seiner Angst keinen Vorwurf. Ich will auch keineswegs beschönigen, daß wir dich der größten Gefahr aussetzen – unter Umständen einer tödlichen Gefahr. Das muß ich unumwunden zugeben, obwohl ich nicht glaube, daß es zum Äußersten kommen wird. Auch die Goldene Mitte glaubt das nicht.«
    »Kann sie vorhersehen, was geschehen wird?« fragte Calvin.
    »Oh, nein, doch nicht in einem solchen Zusammenhang!« Die Frage schien Frau Wasdenn überrascht zu haben. »Wüßten wir immer, was uns die Zukunft bringt, wären wir doch, wie – wie die Leute auf Camazotz: Wir hätten unser eigenes Leben verwirkt; alles wäre längst von fremder Hand geplant, unser Schicksal ohne Änderungsmöglichkeit vorbestimmt … Wie soll ich dir das erklären? Oh, ich weiß schon! Bei euch gibt es doch eine bestimmte Form des Gedichts, die Sonnett heißt.«
    »Ja, das stimmt«, sagte Calvin ungeduldig. »Aber was hat das mit der Goldenen Mitte zu tun?«
    »Würdest du bitte so freundlich sein, mir zuzuhören?« sagte sie ungerührt, und Calvin hörte sofort auf, wie ein junges Fohlen herumzuscharren. »Das Sonnett ist bekanntlich eine sehr strenge Gedichtform.«
    »Weiß ich.«
    »Wenn ich mich recht erinnere, besteht es aus vierzehn Zeilen, und auch das Versmaß ist vorgegeben, ebenso die Zahl der Silben pro Zeile und die Zahl der Zeilen pro Strophe. Richtig?«
    »Ja.« Calvin nickte.
    »Außerdem steht fest, welche Zeile sich mit welcher reimen muß. Kann also der Dichter ein Sonnett schreiben, ohne sich exakt an diese Vorschriften zu halten?«
    »Nein.«
    »Aber innerhalb dieser strengen
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