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Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Titel: Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
Autoren: Roman Rausch
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vollbringen, bevor er sich in seine Kirche zurückziehen wollte, um die Vergebung seiner Schuld zu erbitten. Er nahm den Zylinder an sich und verschwand mit Alvarez im Labyrinth der Totenstadt.
    »Kilian!«, hörte ich von entfernt.
    Als Erste erkannte ich Pia. Sie stürzte auf mich zu und warf sich mir an den Hals. »Hey, mach langsam«, beruhigte ich sie, »du küsst einen schwer verletzten Mann.«
    »Du bist verletzt?«, fragte sie besorgt und musterte mich.
    »Nicht der Rede wert, nur eine kleine Schramme. Aber trotzdem gefährlich«, scherzte ich.
    »Da bist du ja endlich«, empfing mich Heinlein, in seinem Arm Claudia.
    »Was ist denn hier passiert?«, fragte ich. »Wo kommt ihr auf einmal alle her?«
    »Wir haben uns Sorgen gemacht!«, lautete der einstimmige Kanon.
    »Um mich?«
    Pia versetzte mir einen Klaps in die Seite, Heinlein nahm mich in den Schwitzkasten, und Claudia besorgte die Kopfnuss. »Um wen denn sonst?«
    »Okay, ich geb auf. Lasst los … Wie wär’s, wenn ich euch jetzt alle zu einem original römischen Abendessen einlade?«
    »Gibt’s da auch was zu trinken?«, fragte Heinlein.
    Wir nahmen uns ein Taxi Richtung Trastevere. Ich blickte nochmals zurück. Zwei Sanitäter schleppten eine Bahre zum Wagen. Die Last war provisorisch unter einer Decke verborgen. Eine blonde Haarsträhne mit blutiger Spitze schaute darunter hervor.
    *
    Alvarez stand im Kreis der Kardinäle. In seinen Händen hielt er ausgebreitet den Papyrus. Ninian saß abseits, hatte sich ganz in sich zurückgezogen, betete.
    Alvarez erhob die Stimme.
    »Dies sind die Worte Jesu, des Nazareners, des Königs der Juden. Angeklagt des Aufruhrs und der Verhetzung, verurteilt zum Tode am Kreuz. Aufgeschrieben von Pontius Pilatus, römischer Statthalter und oberster Richter, seinem Henker und dem Knecht seines letzten Willens.
    Und Jesus sprach: So höre, mein Volk Israel. Geben will ich dir den Schlüssel zum Himmelreich meines Vaters, deines Herrn. Ein jeder hüte ihn mit aller Sorgfalt, denn am letzten aller Tage wird er dir das Schloss öffnen. Darum befolget, was ich euch im Namen meines Vaters gebiete. Wehe dir, o Israel, solltest du dich nicht würdig zeigen.
    EIN JEDER SEI FREI, NIEMANDES KNECHT.
    BAUET KEINE TEMPEL, REISSET DIE ALTEN NIEDER, DENN DIE ZEIT IST NAHE.
    NIEMAND ERHÖHE SICH ÜBER DEN ANDEREN. WER GLAUBT ZU BEFEHLEN, DEM WIRD BEFOHLEN. ALLE MACHT IST IN MEINEM VATER.
    LIEBET UND EHRET DAS LEBEN; EIN JEDES, GLEICH SEINER ART. DENN DAS LEBEN IST IM VATER UND KOMMT VON IHM.
    FOLGET NIEMANDEM UND SCHICKT DIE EUCH FOLGEN AUF IHREN EIGENEN WEG ZU MEINEM VATER.
    DAS WEIB SEI DEM MANNE GLEICH. BEIDE SOLLEN MEINEM VATER DIENEN, DENN ES GIBT KEINEN UNTERSCHIED ZWISCHEN IHNEN.
    REDET NICHT WIE EIN RABBI. EURE TATEN SOLLEN LIEBE SCHAFFEN. BARMHERZIGKEIT WILL ICH, KEINE OPFER.
    GEBT EUER HAB UND GUT FORT. LASSET ALLES ZURÜCK, DENN NICHTS IST JEMALS EUER EIGEN. WER IN SEIN REICH EINKEHREN WILL, SEI NACKT.
    WERDET VORÜBERGEHENDE.
    SEID BEI MEINEM VATER OHNE UNTERLASS. WEHE DEM, DER DAZWISCHENGEHT. BRENNEN WIRD ER IN ALLE EWIGKEIT. AMEN.«
    Alvarez schloss die Rede. Behutsam drehte er den Papyrus und zeigte reihum allen, was sich darauf befand.
    Neben der Unterschrift des Pontius Pilatus und einem verblichenen Siegel war in das Material ein dunkelbrauner Fleck eingedrungen. Von ihm gingen fünf längliche Streifen in der gleichen Farbe nach oben und leicht zur Seite weg. Bei näherer Betrachtung war eine Hand erkennbar. Darunter in der Schrift des Pilatus fünf Buchstaben – JESUS von Nazareth.
    Ehrfürchtiges Erstaunen erfasste die Kardinäle. Manche bekreuzigten sich und wandten sich beschämt ab. Alvarez rollte den Papyrus zusammen und steckte ihn zurück in den Zylinder.
    »Ihr habt die Worte unseres Herrn gehört. Nun tut, wie er euch befohlen. Und ich warne euch, tut ihr es nicht, dann werde ich sie nochmals sprechen – vor aller Welt, immer und immer wieder, bis dass der Letzte von euch aus seinem Amt verschwunden ist und kein Stein mehr auf diesem Tempel steht.«
    Mit dem Papyrus unter dem Arm humpelte er zu Ninian, der an der Seite auf ihn wartete. Wie zwei alte, müde Männer, die sich das letzte Mal in einer Schlacht bewiesen hatten, gingen sie zum Ausgang. Dahinter die Kardinäle, noch immer schweigend, das Gehörte mühsam verdauend.
    »Alvarez!«, rief Veroni.
    DIE STUNDE, IN DENEN ICH DIESE ZEILEN FÜR EUCH SCHREIBE, WERTE BRÜDER, IST DIE STUNDE MEINES SCHICKSALS AM LANGERSEHNTEN ZIEL MEINER GOTTGEFÄLLIGEN
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