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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
Autoren: Mandy Kopp
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Weg in die alte Heimat war verbaut und damit auch der Zugriff auf das Vermögen der Familie. Es war von einem Tag auf den anderen unerreichbar. Im gleichen Jahr wurde meine Großmutter ausgewiesen. Was die Staatsführung gegen sie in der Hand hatte, warum sie der Spionage verdächtigt wurde, werde ich wohl erst erfahren, wenn ich die Stasi-Unterlagen eingesehen habe. Den Antrag dazu habe ich schon vor zwei Jahren ausgefüllt, seitdem liegen die Unterlagen in einer Schublade. Ich habe noch nicht den Mut dazu gefunden, sie mir anzusehen. Das Einzige, was ich habe, sind einige Briefe, die die Zensur passiert haben und aus denen ich versuche, das Geschehen von damals zu rekonstruieren. Sie sind so voller Sehnsucht und Schmerz, dass mir beim Lesen manchmal die Tränen kommen. Wir Kinder sind mit diesem Gefühl aufgewachsen, obwohl mein Vater sich bemühte, alles vor uns zu verbergen.
    Meine Großmutter ging nach ihrer Ausweisung zurück zur Familie ihres Vaters nach Korbach-Waldeck und versuchte von dort aus vergeblich, ihren Sohn nachzuholen. Hans begann eine Ausbildung als Landwirt, lernte seine erste Frau kennen, zog mit ihr nach Leipzig und wurde Vater einer Tochter. Das Mädchen kam behindert zur Welt, ein Schlag für die jungen Eltern, die beide berufstätig waren. Der nächste Schlag kam, als mein Vater in den Bau wanderte – wegen versuchter Republikflucht. Die Ehe überstand die Haftzeit nicht. Nach seiner Entlassung fand er eine Anstellung bei der Straßenbahn, wo er meine Mutter kennenlernte. Die beiden heirateten 1974.
    Meine Mutter Eva wurde 1948 im oberfränkischen Hof im Flüchtlingslager Moschendorf A / IV geboren. Die Barackensiedlung existierte seit 1941, zunächst als Lager für Zwangsarbeiter, von 1944 an war sie Außenstelle des Konzentrationslagers Flossenbürg. Nach Kriegsende wurde das Lager ausgebaut und bis 1957 zur Durchgangsstation für Heimatvertriebene und Kriegsheimkehrer. Für meine Mutter war Moschendorf der Ort, an dem sie ihre Kindheit verbrachte.
    Im Alter von drei Jahren erkrankte sie schwer an Tuberkulose und wurde im Dezember 1951 in die Heilstätte Kutzenberg eingeliefert. Bis April 1953 musste sie in der oberfränkischen Klinik bleiben. Schon zu dieser Zeit versuchte ihr Großvater Alfred, seine Tochter Harriette und die kleine Eva nach Dresden zu holen. Von dort war Harriette am 13. Februar 1945 nach einem schweren Bombenangriff geflohen. Sie war damals 19 Jahre alt und Trapezkünstlerin im Zirkus Sarrasani. Eine Berufswahl, die Alfred, einen Journalisten und Weltenbummler, sicher verwundert hatte, aber nach dem frühen Tod seiner Frau bot der befreundete Hans Stoch-Sarrasani einen Halt, während Alfred auf Reisen war.
    Die Anträge auf einen Zuzug nach Dresden wurden jahrelang abgelehnt, die zu großen Teilen zerstörte Stadt war Sperrgebiet. Erst 1965 fand die Familie wieder zusammen, in Leipzig, wo sie vorübergehend im Hotel Ernst unterkam. Dort begann meine Mutter später eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Mit 18 heiratete sie, aber diese Ehe hielt nicht lange, ebenso wenig wie die zweite. Als mein Vater in ihr Leben trat, hatte sie drei Kinder, die sie mit einem Job bei der Straßenbahn durchbringen musste. Hans adoptierte die beiden Jungen und das Mädchen, die Familie zog in die Balkuner Straße, später dann in die Simsonstraße. Hier kamen Sandra und ich zur Welt. Ich war 1976 das fünfte von insgesamt sechs Kindern.
    Zwei Jahre später kam es zu einem Einschnitt, der unsere Familie veränderte. Meine Eltern, die inzwischen beide bei einer Brauerei arbeiteten, hatten massive Alkoholprobleme, stritten sich nur noch und entschieden sich zu einer Scheidung. Richtig voneinander los kamen sie nicht, sie hielten weiterhin Kontakt. Wenige Wochen nachdem mein Vater ausgezogen war, stellte meine Mutter fest, dass sie erneut schwanger war. Bei einer Routineuntersuchung wurde ihr mitgeteilt, dass sie besser abtreiben solle. Gebärmutterhalskrebs, zu groß die Gefahr für das Kind. Meine Mutter lehnte ab. Erst nach Matthias’ Geburt unterzog sie sich einer Totaloperation und einer anschließenden Krebstherapie. Wir Geschwister bekamen vom all dem nur die Auswirkungen zu spüren. Geredet hat keiner mit uns. Von einem Tag auf den anderen wurden wir in verschiedene Kinderheime verfrachtet, auseinandergerissen, ohne dass wir gewusst hätten, warum. Die Behörden erklärten unserer Mutter, dass dies das Beste sei, der geschiedene Vater könne das Sorgerecht auch nicht erfüllen, würde
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