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Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)

Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)

Titel: Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
Autoren: Christoph Marzi
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schnappte sich die Kaffee-Pflanze im Kasten und stellte sie unter dem Fenster auf den Boden. Dann drückte sie das Fenster zu, und der Hurrikan blieb vorerst ausgesperrt.
    Sie ließ sich auf die Couch fallen, streifte die nasse Jacke ab, ließ sie einfach auf den Boden fallen, schlüpfte aus den Schuhen, legte die Füße hoch, sah nach draußen.
    Gleich würde es so richtig losgehen.
    Und dann?
    Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Warten, okay, und sonst? Sie stand auf, ging ums Klavier herum, setzte sich davor und klimperte eine Melodie, die sich wie der Sturm vor dem Fenster anhörte. Ein Text fiel ihr nicht dazu ein, aber sie war auch gar nicht auf der Suche nach einem Text. Die Melodie genügte ihr.
    Dann, nach einer Weile, hob sie die auf dem Boden verstreuten Blätter auf, die Notizen für neue Songs. Nach dem Auftritt in der Cushion Factory hatten J & J ihr freimütig angeboten, das Konzert im Frühjahr mit ihrer Band zu wiederholen.
    Holly Go!
    Nachdenklich schaute sie wieder zum Fenster hinaus. Irgendwie passte der Regen, der gegen die Scheibe prasselte, zu all den schwarzen und weißen Tasten.
    Aaron nannte sie nie Faye, immer nur Holly. So oft, dass sie manchmal schon die Befürchtung hegte, er liebe nur die Kunstfigur, die sie auf der Bühne war, die fragile junge Frau mit der Sonnenbrille und der hellen Stimme, die mit dem Publikum flirtete und manchmal Lieder mit altmodischen Melodien und recht schlüpfrigen Texten sang. Aber sie war nicht Holly, sie war anders. Sie war Faye Archer. Aus Redwood Falls. Aus der Montague Street. Faye Archer, von überall her, aus Brooklyn Heights, aus dem Real Books, aus dem LL und, irgendwann einmal, auch aus Queens. Aaron Lescoe indes wollte das Bild von ihr sehen, das ihm gefiel. Er wollte Holly Go! , denn Holly Go! war diejenige, die seine Freunde bewunderten. Sie hatte sich daran gewöhnt, und meistens machte es ihr nichts aus.
    Heute schon.
    Sie ging zum Plattenspieler und legte etwas von Benjamin Gibbard auf. Dann machte sie es sich auf der Couch bequem. Genau so würde sie den Sturm abwarten. Geborgen in der Wärme ihrer Wohnung. Mochte draußen die Welt davonfliegen, sie würde sich hier einigeln und erst wieder nach draußen gehen, wenn alles vorbei war. Einzig ein Unglück im Buchladen würde sie vor die Tür bringen. Zum Teufel mit Aaron und seinem bescheuerten Kunstzeugs!
    Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Draußen prasselte der Regen jetzt fester gegen die Fenster. Die Äste des großen Baums kratzten laut und abgehackt an der Fassade entlang. Es schien, als sei die ganze Welt in Bewegung und nur sie in ihrer Wohnung ein Fixpunkt.
    Ruhig.
    Sie atmete ruhig.
    Versuchte, gar nicht an all das zu denken, was theoretisch in einem Hurrikan passieren konnte.
    Das Licht flackerte in den Glühbirnen. Dann, plötzlich, wurde es dunkel.
    Die Musik verebbte mit einem Schlag, und es wurde still. Der Kühlschrank hörte auf zu brummen, der Radiowecker erlosch lautlos.
    Stromausfall.
    »Auch das noch.«
    Faye sprang auf und bewegte sich vorsichtig durch die Wohnung. Draußen, auf der Straße, gingen die Laternen schnell wieder an, und in den anderen Häusern war es ebenfalls wieder hell geworden. Aber hier, in Faye Archers extrem und wunderbar unaufgeräumter Wohnung blieben die Lichter aus, was nur bedeuten konnte, dass die zentrale Sicherung unten im Keller rausgeflogen war; die alten Porzellansicherungen aus den Sechzigern sahen ohnehin schon so aus, als seien sie einer Schrottplatzfantasie entsprungen. Nun ja, irgendjemand würde sie schon wieder einsetzen. Sie seufzte. Dann aber dachte sie: »Irgendjemand« bedeutet meistens »niemand«, und so schlüpfte sie in ihre knallgrünen Chucks mit den neongelben Schnürsenkeln, wild entschlossen, den Weg hinunter in den Keller anzutreten, um dem Sicherungskasten zu Leibe zu rücken.
    Doch dann, auf halbem Weg zur Wohnungstür, fiel ihr ein, dass es da unten ja stockfinster war. Noch finsterer als im Treppenhaus; und das war schon sehr finster, was an den wenigen Fenstern lag.
    Was also tun?
    Sie grübelte.
    Fluchte heimlich.
    Immer war alles so kompliziert. Wäre Aaron jetzt hier, würde er sein tolles Smartphone als Lampe benutzen. Aber Aaron Lescoe war ja nicht hier, er war irgendwo in der Klynite bei seinen wertvollen Kunstgegenständen. Toll, einen Freund wie ihn zu haben!
    »Taschenlampe, Taschenlampe«, murmelte Faye und begann mit der Suche in den Schubladen in der Küche. »Wo steckst du
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