Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Wohltaeter

Titel: Die Wohltaeter
Autoren: Nuri Kino Jenny Nordberg
Vom Netzwerk:
in der Wohnung bleibe.
    »Es ist verdammt noch mal höchste Zeit, dass du endlich auftauchst«, begrüßte ihn Yamo.
    »Efendem«, entgegnete Ninos höflich auf Türkisch, um den Freund zu ärgern, und ging an ihm vorbei ins Restaurant.

3
     
     
    Der Engländer fluchte leise vor sich hin, während er sich durch einen Schneehaufen kämpfte. Diesen Schneematsch und die Dunkelheit zu ertragen gehörte wohl zum hiesigen Humor. Er war beim Einschlafen etwas dösig vom Alkohol gewesen, aber es war kaum verwunderlich, dass man nicht von allein wieder aufwachte, wenn den ganzen Tag über niemand draußen das Licht anknipste. Er wohnte nun seit fast einer Woche in dieser Wohnung – in Skarpnäck, einem schwedischen Vorort. Mitten im Winter. Das war beinahe lächerlich, aber nach all der Rastlosigkeit seiner letzten Jahre war es ihm wie ein Segen erschienen, als ihm ein alter Bekannter aus der Studienzeit angeboten hatte, ihm einige Tage seine Stockholmer Wohnung zu überlassen. Bei seinem derzeitigen Arbeitstempo würde niemand beanstanden, wenn er sich ein paar Tage freinähme. Außerdem brauchte er etwas Zeit für sich, um seinen nächsten Schachzug auszubrüten.
    Kaum hatte er das Angebot angenommen, gab er sich auch schon einem Tagtraum von Stockholm hin, in dem er sich selbst am königlichen Schloss vorbeischlendern und sich in einer Gaststätte mit Birkenmöbeln und Eiszapfen vor dem Fenster Fisch essen sah. Wie sich jedoch herausstellte, lag die Wohnung nicht unbedingt in der Nähe des Schlosses, sondern zwanzig Minuten Fahrt mit der U-Bahn entfernt. Er ertappte sich selbst dabei, beinahe Gefallen an der Anonymität zu finden, die diesen Vorort prägte, und machte sich noch nicht einmal die Mühe, in die Innenstadt zu fahren und einige teure, kleine Glasfiguren zu kaufen, wie er ursprünglich geplant hatte. Tagsüber verließ er die Wohnung lediglich füreinen Morgenspaziergang und widmete sich dann wieder seinen Dokumenten, die er mitgenommen hatte. Mit jeder Seite, die er las, schien sich eine neue, unliebsame Fährte aufzutun – es war erdrückend. Ein Gläschen würde sein kreatives Denken sicherlich anregen, entschied er, und hoffentlich auch seinem Unbehagen die Spitze nehmen, wenngleich er noch entsprechende Tabletten in Reserve hatte. Er war nicht vorausschauend genug gewesen, etwas am Flughafen einzukaufen, und hatte auch keine Alkoholgeschäfte in der Nähe gesehen. In der Küche hatte er eine Plastikflasche mit Gin gefunden und ihn mit etwas lauwarmem Wasser in einem Trinkglas verdünnt. Eis gab es nicht. Nein, seine Lektüre war keineswegs erfreulich gewesen, und er durchforstete den Inhalt des Küchenschranks weiter, nachdem er den kleinen Rest aus der Ginflasche ausgetrunken hatte.
    Für den Abend hatte er einen Besuch in einem feinen Restaurant geplant. Vielleicht sogar einen Drink im Grand Hôtel, von dem er gehört hatte. Nachdem er eine Weile überlegt hatte, war er in jedem Fall auf den Geschmack gekommen und spürte einen angenehmen Rausch. Die Kälte tat ihr Bestes, um ihn wach zu halten, nachdem er sich in die Dunkelheit hinausbegeben hatte. Die Windböen peitschten ihm auf seinem Weg zur U-Bahn wie Ohrfeigen ins Gesicht, und er steckte abwechselnd die Hände in die Taschen und zog seinen Mantel enger um sich. Als alter Wirtschaftsprüfer war er zu geizig, um auf eigene Kosten ein Taxi zu nehmen, außerdem wusste er nicht, wohin genau er fahren musste. Aber Handschuhe hätte er gebrauchen können.
    Er hörte die Gaststätte, noch bevor er sie sehen konnte. Einige junge Frauen, deren langes, offenes Haar über den Kragen ihrer Daunenjacken fiel, kamen von einer Bushaltestelle und unterhielten sich mit lauten Stimmen, während sie eine kleine Flasche kreisen ließen. Sie waren auf dem Weg zu einer Art Eckrestaurant, aus dem stoßweise Musik drang, sobald jemand die Tür öffnete. Es schienen viele Menschen dort zu sein. Der Engländer traf eine Entscheidung, als er den Alkoholgeruch wahrnahm, der noch einige Meter hinter den Frauen in der Luft hing. Ein Gläschen würde er sich vor der Fahrt in die Stadt noch gönnen. Nur um die Wärme zukonservieren. Für das Abendessen war er fast schon ein wenig zu spät aufgebrochen. Außerdem, so rief er sich in Erinnerung, verbrachte er schließlich gerade eine Art Urlaub.
     
    Ob es nun die Wohnhilfe, Sozialhilfe oder das Kindergeld war, was man den Leuten kürzlich ausgezahlt hatte – das Geschäft lief jedenfalls blendend, dachte Ninos von seinem Platz
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher