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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten
Autoren: Jonathan Littell
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einem Gitter baumelte, und blutüberströmten Bären. Ich betrat ein halb zerstörtes Gebäude: In einem großen Käfig saß ein riesiger schwarzer Gorilla, tot, ein Bajonett in der Brust. Ein Strom von schwarzem Blut floss zwischen den Gittern hervor und mischte sich mit den Wasserpfützen. Der Gorilla sah verdutzt aus, überrascht; sein zerfurchtes Gesicht, die offenen Augen, seine enormen Hände wirkten bestürzend menschlich auf mich, als wollte er jeden Augenblick anfangen, mit mir zu sprechen. Hinter diesem Gebäude erstreckte sich ein Gehege mit einem großen Teich: Ein Flusspferd trieb im Wasser, tot, den Flügel einer Werfergranate im Rücken; ein zweites lag auf einer Plattform, von Granatsplittern durchsiebt, schwer atmend im Todeskampf. Das Wasser schwappte über den Rand des Teichs und durchtränkte die Uniformen zweier dort liegender Waffen-SS-Männer; ein dritter saß an einen Käfig gelehnt, mit glanzlosem Blick, die Maschinenpistole quer über den Beinen. Ich wollte meinen Weg fortsetzen, hörte aber laute russische Stimmen, die sich mit dem Trompeten eines erschrecktenElefanten mischten. Ich versteckte mich hinter einem Busch, dann machte ich kehrt, um die Käfige auf einer Art Steg zu umgehen. Doch dieser Weg war versperrt: Clemens, die Füße im Wasser, den weichen, immer noch tropfenden Hut auf dem Kopf, seine Automatik in der Hand, stand am Ende des Stegs. Ich hob die Arme, ganz wie im Film. »Du hast mich ganz schön herumgehetzt«, schnaufte Clemens. »Weser ist tot. Aber ich hab dich gekriegt.« – »Kriminalkommissar Clemens«, keuchte ich, ebenfalls außer Atem, »machen Sie sich nicht lächerlich. Die Russen sind keine hundert Meter entfernt. Die hören, wenn Sie schießen.« – »Ich sollte dich im Becken ersäufen, du Stück Scheiße«, stieß er hervor, »dich in einen Sack nähen und ins Wasser werfen. Hab aber leider keine Zeit dazu.« – »Sie sind doch noch nicht einmal rasiert, Kriminalkommissar Clemens«, schrie ich, »und dann wollen Sie mich richten!« Er lachte laut und freudlos. Ein Schuss fiel, sein Hut rutschte ihm ins Gesicht, wie ein Stein stürzte er quer über den Steg, sodass sein Kopf in einer Wasserpfütze lag. Hinter einem Käfig tauchte Thomas auf, einen Karabiner in der Hand und ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. »Wie immer, gerade zur rechten Zeit gekommen«, sagte er fröhlich. Er warf einen Blick auf Clemens’ massigen Leichnam. »Was wollte der denn?« – »Das war einer der beiden Greifer. Er wollte mich töten.« – »Hartnäckig, der Kerl. Immer noch wegen dieser Geschichte?« – »Ja. Ich weiß nicht, die waren übergeschnappt.« – »Aber du bist auch nicht ganz gescheit«, sagte er streng. »Die suchen dich überall. Müller schäumt vor Wut.« Ich zuckte die Achseln und blickte mich um. Es regnete nicht mehr, Sonnenlicht fiel durch die Wolken und ließ das nasse Laub der Bäume und die Wasserflächen auf den Wegen erglänzen. Wieder hörte ich einige russische Wortfetzen: Sie mussten ein Stück weiter sein, hinter dem Affengehege. Der Elefant trompetete erneut. Thomas hatte seinen Karabiner an das Geländer des Stegs gelehnt, sichneben Clemens’ Leichnam gehockt, dessen Automatik eingesteckt und durchsuchte jetzt seine Taschen. Ich ging hinter ihm vorbei und blickte in die andere Richtung, aber da war niemand. Thomas hatte sich zu mir umgewandt und wedelte mit einem dicken Bündel Reichsmark: »Sieh mal«, sagte er lachend, »eine richtige Fundgrube, dein Greifer.« Er steckte sich die Geldscheine in die Tasche und suchte weiter. Neben ihm bemerkte ich eine massive Eisenstange, die bei einer Explosion aus einem Käfig herausgerissen worden sein musste. Ich hob sie auf, wog sie in der Hand und schlug mit aller Kraft zu. Als seine Nackenwirbel hörbar zersplitterten, fiel Thomas, wie vom Blitz getroffen, nach vorn, quer über Clemens’ Leiche. Ich ließ die Stange fallen und betrachtete die beiden Toten. Dann drehte ich Thomas um, dessen Augen noch immer offen standen, und knöpfte ihm den Waffenrock auf. Ich zog meine Jacke aus und tauschte beides rasch aus, bevor ich ihn wieder auf den Bauch drehte. Ich überprüfte die Taschen: Neben der Automatik und den Banknoten von Clemens fand ich noch Thomas’ Papiere, die des Franzosen vom STO, und Zigaretten. Seine Haustürschlüssel entdeckte ich in der Hosentasche; meine eigenen Papiere blieben in meiner Uniformjacke.
    Die Russen hatten sich entfernt. Auf dem Weg kam ein kleiner Elefant
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