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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin
Autoren: Kai Meyer
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und Nebel, wie man hörte, und nun folgten seine Getreuen. Später erfuhr ich, dass von den mehr als siebentausend Männern, die Baden bereitgestellt hatte, nicht einmal fünfhundert die Heimat wiedersahen. Ähnliches geschah in den übrigen Regionen des Reiches. Nichts beschäftigte die Menschen in jenen Tagen so sehr wie Napoleons Niederlage in der brennenden Steppe.
    Kala lenkte die Kutsche an dem Menschenauflauf vorüber, während wir unsere frierenden Nasen voller Neugier aus dem Fenster steckten. Der Weg zum Schloss war nicht schwer zu finden, wir mussten nur einer Querstraße folgen. Zwischen Schneewehen und dreigeschossigen Häuserblöcken, einer von so falschem Ziegelrot wie der andere, schaukelten wir meiner Hoffnung entgegen. Meiner ersten Anstellung. Ich war beim Anblick der Stadt nicht mehr sicher, ob ich wirklich glücklich darüber war. Doch der Gedanke an die schamvolle Abhängigkeit von Jakobs Geldbeutel überzeugte mich schnell eines Besseren.
    Schließlich erblickten wir jenseits schneegezuckerter Schmuckgärten das Schloss, die Residenz des jungen Großherzogs Karl. Unser unheimlicher Kutscher ließ die Pferde Halt machen. Jakob und ich stiegen aus. Ein scharfer Wind trieb Eiskristalle über die kahlen Hecken und Wandelwege. Schmerzhaft biss mir die Kälte ins Gesicht.
    Zum Abschied reichten wir Jade die Hände, auch Jakob gab sich höflich und dankbar. Ich wünschte der Prinzessin viel Glück bei der Suche nach Uhrmachermeistern und mühte mich, ihren Blick einen Herzschlag länger zu halten als nötig. Sie bemerkte es natürlich und lächelte, keineswegs schüchtern, wie es sich für eine Dame ihres Standes geziemte. Sie war ein merkwürdiges Geschöpf. Ein bezauberndes, ohne Frage, wenngleich auch so unkeusch.
    Als wir auch Kala danken wollten, beugte sich dieser vom Kutschbock herab. Seine uralten Augen richteten sich auf Jakob.
    »Ich habe von dir geträumt heute Nacht«, sagte er mit starkem Akzent. »Du hattest keine Haare.«
    Meine Verwunderung über seine Worte war zu groß, als dass ich hätte fragen können, wie er wohl träumen konnte, während er die Kutsche lenkte.
    »Keine … Haare?«, fragte Jakob verblüfft.
    Ich unterdrückte meine Belustigung, während der Fakir keine Miene verzog, im Gegenteil. Er wirkte so ernst, als habe er Jakob gerade eine Hiobsbotschaft überbracht.
    »Ein böses Omen«, erklärte Jade, die ihren Kopf aus dem Kutschfenster reckte. »Wir Inder glauben, wenn wir von einer Person ohne Haare träumen, dann steht demjenigen Schlechtes bevor.«
    Jakob rümpfte die Nase. »Wie erfreulich.«
    »Sie sollten auf sich Acht geben«, sagte Jade ernsthaft. »Auf sich und Ihren Bruder. Kala irrt sich selten, er ist – «
    »Ein heiliger Mann, ich weiß«, entgegnete Jakob unwirsch. »Wir werden aufpassen.«
    »Tun Sie das«, sagte Jade, dann gab Kala den Pferden die Peitsche. Selbst da noch hing sein Blick an Jakob. Was ich darin las, gefiel mir keineswegs. Mir schien, es war Mitleid.
     
    * * *
     
    Emmerich Joseph Herzog von Dalberg empfing uns in dem prunkvollen Saal, der ihm als Arbeits- und Empfangszimmer diente. Wände und Decken waren mit Malereien geschmückt, possierlichen Engeln mit goldenen Flügeln, Bauern in bunter Trachtenkleidung und Heiligen mit Leidensmienen. In der Mitte hing ein Kronleuchter, darunter stand ein gewaltiger Schreibtisch. Vor den hohen Fenstern senkte sich die Dunkelheit auf die Stadt. Die roten Häuser sahen aus wie Blutflecken im Schnee.
    »Die Herrn Grimm!«, rief Dalberg aus, als sein Sekretär uns durch die Doppeltür schob. Strahlend eilte er uns entgegen und begrüßte uns mit Handschlag. Nach den üblichen Willkommensfloskeln ließ er uns auf der Besucherseite des Schreibpults Platz nehmen.
    Ich reichte ihm Goethes Empfehlungsschreiben. Er betrachtete erstaunt die Brandflecken, die der Funkenflug hineingesengt hatte, dann erbrach er das Siegel und überflog mit zufriedenem Lächeln den Inhalt.
    »Ihr Gönner hält große Stücke auf Sie«, sagte er schließlich.
    »Wir haben einiges gemeinsam erlebt«, erwiderte ich vage und kämpfte mit einem Kloß im Hals. Ich war bemüht, den bestmöglichen Eindruck zu erwecken. Meine Nerven widersetzten sich.
    Dalberg war ein großer Mann, der seinem vierzigsten Jahr entgegeneilte. Seine wachen Augen musterten mich aufmerksam, und seine Mundwinkel schienen stets zu einem spöttischen Lächeln verzogen, was ihm eine Aura von Überlegenheit verlieh. Dabei wirkte er freundlich und
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