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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman
Autoren: Heyne
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erschöpft, dass sie nicht einmal mehr weinen konnte. Nach einer Weile schlummerte auch sie ein, doch sein Schnarchen weckte sie bald wieder. Draußen sangen bereits die Vögel, und blasses Licht fiel von der Zeltklappe her auf den Boden.
    Sie setzte sich auf und strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. Zwischen den Beinen war sie schrecklich wund, aber als sie sich dort mit der Hand berührte, fand sie kein Blut, sondern nur Drwyns klebrigen Saft. Sie sah hinüber zu ihm. Er lag mit schlaffem Mund auf den Kissen und schlief noch, Macha sei Dank.
    Langsam glitt sie unter den Decken hervor und erhob sich. Zuerst weigerten sich ihre Beine, sie zu tragen, und beinahe wäre sie gefallen. Sie machte sehr kleine Schritte, ging auf ihr Kleid zu, zog es an, rollte das Unterhemd zusammen und fuhr mit den Füßen in die Schuhe. Nach kurzem Zögern schob sie den kleinen Spiegel in das Bündel und spähte nach draußen.
    Nichts regte sich im Lager, nur ein paar Hunde stritten um weggeworfene Knochen im Gras. Sogar die Häuptlingswache war verschwunden. Die Sonne stand als blasse Scheibe am austergrauen Himmel; ihr Licht war dünn und farblos wie der Rauch über dem Aschehaufen, der alles war, was von dem Festfeuer übrig geblieben war, das auf den Überresten des Scheiterhaufens mit dem Leichnam des alten Häuptlings errichtet worden war. Sie dachte an Drw und daran, wie anders ihr Leben mit ihm gewesen war. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die nicht fließen wollten.
    Teia trat nach draußen. Für gewöhnlich ging es zu dieser Stunde sehr geschäftig im Lager zu; die Frauen entzündeten Feuer und kneteten den Brotteig, die Männer überprüften ihre Ausrüstung und fütterten die Pferde, bevor sie auf die Jagd gingen. Zweifellos hatten alle die Salbung des neuen Häuptlings so ausgiebig gefeiert, dass sie noch immer zu betrunken waren, um die Köpfe zu heben.
    Teia hielt ihr kleines Bündel fest in den Händen und eilte an den zusammengedrängten Zelten vorbei zum Fluss, wo sie am vergangenen Abend Wasser geholt hatte. Sie begab sich ein wenig weiter stromabwärts bis zur nächsten seichten Stelle. Von hier aus war das Lager kaum mehr zu sehen; nur die Spitzen der Zelte ragten über dem hohen Gras auf. Hier war sie gut genug versteckt. Sie hockte sich an das sandige Ufer und nahm den Spiegel heraus.
    Ein geisterbleiches Gesicht starrte sie an. Ihre Augen waren rot vom vielen Weinen und eingerahmt von den Schatten der Schlaflosigkeit. Getrocknetes Blut verkrustete die Mundwinkel, und die Unterlippe war geschwollen. Vorsichtig untersuchte sie die Prellung und schürzte die Lippe, um zu sehen, wo sie sich selbst gebissen hatte.
    Da bemerkte sie im Spiegel eine weitere Quetschung. Sie schnürte ihr Kleid auf, schob es sich über die Schulter und sah Drwyns Zahnabdrücke in ihrem Fleisch. Grün und Blau erfüllten den ganzen Spiegel, und Tränen traten in ihre Augen.
    Mochte Macha sie schützen.
    Sie senkte den Spiegel, riss sich das Kleid vom Leib und streifte die Schuhe ab. Der Fluss war beißend kalt, aber sie konnte nicht warten, bis sie Wasser erwärmt hatte. Sie musste Drwyn loswerden, musste die Säfte loswerden, die in ihr klebten.
    Sie hockte sich in den Fluss und rieb sich so heftig ab, wie ihr zartes Fleisch es ertragen konnte. Sie schrubbte seinen Schweiß und die Erinnerung an seine Berührung ab; sie schrubbte, bis ihr Körper vor Kälte zitterte und ihre Hände und Füße nichts mehr fühlten. Dann sank sie im Wasser auf die Knie und weinte.
    Als sie ins Lager zurückkam, regten sich die Menschen allmählich. Kochfeuer waren entzündet worden, und vor dem Häuptlingszelt standen wieder zwei Wächter. Ihre Gesichter waren grau und verquollen. Teia ging nicht dorthin zurück. Sie begab sich zum Zelt ihrer Eltern, damit sie sich eines ihrer eigenen Kleider anziehen konnte. Dasjenige, das Ytha ihr gegeben hatte, konnte sie gar nicht schnell genug loswerden.
    Ihr Vater saß auf einem Schemel neben dem Eingang und reparierte ein Zaumzeug. Er war ein schlanker, drahtiger Mann, der so zäh wie ein Lederriemen war, und hatte grau meliertes, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenes Haar. Sein langer Schnauzbart hing zu beiden Seiten der dünnen Lippen herunter.
    Als Teias Schatten auf seine Arbeit fiel, hielt er inne, schaute aber nicht auf.
    »Vater?«
    »Teia«, sagte er. Seine Stimme war ausdruckslos. Er drehte sich auf seinem Schemel der Sonne entgegen und fuhr mit seiner Arbeit fort. Seine braunen, schwieligen
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